Eine sehr aggressive AtmosphäreDer neue Stadtplanungschef Heinz Schöttli über ein Zuviel an Licht, Event und Reklame im öffentlichen Raum. Graz aus Schweizer Sicht.
Sie sind neuer Stadtplanungschef in Graz, kommen aber aus der Schweiz. Haben Sie schon einen ersten Überblick?HEINZ SCHÖTTLI: Ja, ich bin einmal rund um die Stadt gewandert.
Ihr erster Eindruck?SCHÖTTLI: Dass es keine stringente Stadtplanung gegeben hat.
Sie haben den Eindruck, dass da vieles einfach ,,gewuchert" ist?SCHÖTTLI: So kann man das sagen.
Was sieht man noch mit einem ersten Blick von außen?SCHÖTTLI: Dass es drei Zentren gibt, neben der Altstadt noch Reininghaus und das Areal um Messe und Stadion, wo viel entstehen kann. Diese Zentren mit Aktivitäten gilt es, auszutarieren.
Ist Reininghaus tatsächlich die Chance für Graz und muss die Stadt das Areal deshalb kaufen?SCHÖTTLI: Nein, es braucht dafür nicht das Eigentum. Der Gesetzgeber gibt der Stadt ja alle Instrumente in die Hand, damit das Gelände gut entwickelt wird. Andererseits sind strategische Käufe nie schlecht, will man, dass heute noch kleine Grazer in Zukunft ein Viertel entwickeln können. Man sollte die Entwicklung aber nie übers Knie brechen und sich Zeit nehmen für eine gute Strategie.
Welche Charaktereigenschaften sind Ihnen an Graz aufgefallen?SCHÖTTLI: Zwischen den Siedlungsteppichen ist viel Luft. Es ist nicht - wie in vielen Städten - alles zugebaut. Der Grundriss von Graz ist sehr großzügig, mit großem Atem, oft wild durchgrünt. Diese Qualität muss man unbedingt erhalten.
Und woran krankt es?SCHÖTTLI: Es geht immer nur um Bauten, die Qualität und die unabdingbare Pflege des öffentlichen Raums sind kein Thema. Dabei ist das entscheidend für die Lebensqualität einer Stadt.
Was meinen Sie da konkret?SCHÖTTLI: Zum Beispiel Bäche freizulegen, um das Kleinklima zu verbessern, Grünräume zu schaffen. Und es darf nicht freie Fahrt für freie Bürger heißen.
Sondern?SCHÖTTLI: Da muss man Begegnungszonen für alle Verkehrsteilnehmer schaffen, mehr Einbahnsysteme mit Tempo 30. Und ich verstehe nicht, dass Graz diese schlechte Erreichbarkeit mit der Bahn nicht längst angegangen ist.
Wie beurteilt der Schweizer unser Bus- und Tram-Netz?SCHÖTTLI: Das funktioniert ausgezeichnet, man braucht in Graz kein Auto. Ich verstehe aber nicht, warum man mit der Autoproduktion hier in der Stadt nicht längst den Bau passender Fahrzeuge initiiert hat. Die Industrie produziert am Bedarf vorbei. Es gibt Autos, die fahren 250 km/h und müssen abgeriegelt werden. Aber es gibt kaum welche für vier Personen und zwei Bierkisten, die 60 fahren, nur zwei Liter brauchen und in der Stadt quer parken können.
Wo muss man Graz noch ins Lenkrad greifen?SCHÖTTLI: Ich bin kein Anhänger der Eventisierung von Städten. Früher war es der Exekutive wichtig, ausgeglichene Budgets zu garantieren, für Bildung und soziale Sicherheit zu sorgen. Heute ist es wichtig, dass man Weltkulturerbe wird oder City of Design. Die primären Regeln, wie so ein Stadtkörper für die Menschen zu entwickeln ist, sind abhandengekommen.
Ist es ein Fehler, sich um den Welterbe-Titel zu bemühen?SCHÖTTLI: Vielleicht kein Fehler. Aber man muss wissen, dass einem der Titel mit diesen restriktiven Regeln die Hände bindet. Und es muss auch in einer Altstadt noch etwas möglich sein. In Salzburg munkelt man darüber, ob man den Titel besser heute als morgen zurückgeben soll. Es muss möglich sein, dass ein Kaufhaus im Zentrum - wie Kastner & Öhler - alle 20 Jahre periodisch nicht nur die Unterhose, sondern auch den Mantel erneuert. Dafür könnte das Welterbe dann auch einmal zu restriktiv sein.
Gibt's noch Handlungsbedarf?SCHÖTTLI: Ja, bei den Stadteinfahrten: Von Norden kommend weiß man nicht, muss man über die Rampe, über der ,,Willkommen ..." steht, ins Einkaufszentrum fahren oder geradeaus weiter, wo dann erst ,,... in Graz" sichtbar wird. Es braucht ein viel restriktiveres Reklame-Reglement. Hier herrscht für den Benutzer eine sehr aggressive Atmosphäre. In der Nacht funkelt und leuchtet alles vor Werbung. Und Graz braucht nachts auch einen Lampenplan, um der Lichtverschmutzung Einhalt zu gebieten.
Bleiben wir im öffentlichen Raum, bei der Qualität der Plätze in dieser Stadt ...SCHÖTTLI: Der Lendplatz ist sehr angenehm, da sieht man es den Leuten auch an, dass sie sich wohlfühlen.
Und am Hauptplatz?SCHÖTTLI: Gibt's gute Würstel.
Ist er zu verstellt?SCHÖTTLI: Ja, den hätte man lieber leer, damit die volle Erhabenheit der Rathausfassade zur Geltung kommt.
War das jetzt ironiefrei?SCHÖTTLI: Das können Sie sich aussuchen (schmunzelt).
Ist er nun zu verräumt?SCHÖTTLI: Ja natürlich, wenn am Nachmittag viel los ist und die Straßenbahnhaltestellen voll sind, wird das sehr eng.
Im Sommer gab's die Diskussion, ob man vor dem Rathaus einen Riesengastgarten zur Behübschung aufstellen soll.SCHÖTTLI: Davon halte ich nichts. Die Stadt hat nicht nur die Aufgabe, als Oktoberfest-kulisse herhalten zu müssen.
Wie stehen Sie zum Streit um die Wintergastgärten?SCHÖTTLI: Die sind unnötig. Ich finde es angenehm, wenn sich der öffentliche Raum mit den Jahreszeiten ändert, sich Gastgärten im Winter zurückziehen und im Frühjahr wieder kommen.
Von Ihrem Büro aus sehen wir die Annenstraße. Ist sie noch zu retten?SCHÖTTLI: Mir gefällt sie sehr gut. Sie ist benutzt, wie ein gebrauchtes Sofa, da liegt man gerne drauf.
Sollte man das Geld für den neuen Bezug sparen?SCHÖTTLI: Nein, mit den Projektentwicklungen, die es auch in der zweiten Reihe links und rechts der Annenstraße gibt, wird sich auch der neue Bezug rechnen.
Sie feilen am Stadtentwicklungskonzept, was fehlt noch?SCHÖTTLI: Details zu Themen wie Lebensqualität, Bildung, Bezirkszentren, die Nahversorgern das Überleben ermöglichen. Und: Integration.
Ein wichtiges Stichwort, droht Graz in Gries und Lend eine Ghettoisierung?SCHÖTTLI: Nein, dafür ist das alles hier zu klein.
Aber die Konzentration an Migranten in diesen Vierteln ist ein Problem. Kann die Stadtplanung das lösen? Kennen Sie internationale Beispiele, wie eine bessere Verteilung über die Stadt zu erreichen ist?SCHÖTTLI: Nein, hier hat noch keiner eine Antwort gefunden.
Quelle:
http://www.kleinezeitung.at/g7/index.do