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Thema: 30-Jahr-Jubiläum: Renaissance des Stadtradelns in Graz (2581-mal gelesen) Vorheriges Thema - Nächstes Thema

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30-Jahr-Jubiläum: Renaissance des Stadtradelns in Graz
Vor 30 Jahren wurde Graz von der "VeloRution" erfasst

Vor drei Jahrzehnten begann in Graz die Renaissance des Stadtradelns: Den Auftakt bildete 1979 die Demo von 2000 RadlerInnen, in den darauffolgenden Jahren wurden erste Radwege illegal und bald offiziell markiert. Motor war die 1981 als Verein gegründete Arbeitsgemeinschaft Alternative Verkehrspolitik Graz (AVG).  

Unmittelbar nach der knappen Volksentscheidung gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf rotteten sich im November auf Einladung der Erklärung von Graz (EvG) erstmals die österreichische Alternativszene zusammen. Beim Folgetreffen im Jänner 1979 in Salzburg formierte sich der "Arbeitskreis Verkehrspolitik", dessen Grazer Ableger die "Arbeitsgemeinsachft Alternative Verkehrspolitik Graz (AVG)" wurde. Die erste Feuertaufe hatte sie schon am 9. Juni, als man wo man in Graz eine Fahrraddemo mit rund 2000 RadlerInnen organisierte - das Pentant in Wien brachte übrigens die ebenfalls frisch gegründete "Arbeitsgemeinschaft Umweltfreundlicher Stadtverkehr (ARGUS)" auf Schiene.

Obwohl breiter angelegt, also nicht nur als Interessensvertretung der AlltagsradlerInnen, sondern auch der FußgängerInnen und ÖV-BenutzerInnen, war die grundsätzliche Zielsetzung damals wie heute die gleiche: Förderung des nicht motorisierten Verkehrs, Restriktionen für den Kfz-Verkehr, man forderte eine "prinzipielle Verkehrsberuhigung". Vom politisch-aktionistischen Ansatz mit verkehrspolitischem Hintergrund her reichen die Wurzeln übrigens noch weiter zurück bis ins Jahr 1970, als sich im Westen von Graz ein "Schutzverband" gegen die geplante Trasse der Pyhrnautobahn durch Graz iner Stadtautobahn duch Eggenberg gegründet hatte oder gar bis Ende der 1960er Jahre, als Studierende gegen Tariferhöhungen bei den Grazer Verkehrsbetrieben auf die Straße gingen.   

Demo der 2000 vor dem "Radhaus"
Bei der Großdemo vom 9. Juni 1979 - auch in Linz, Salzburg und Wien gingen zeitgleich derartige Kundgebungen vonstatten - fungierte das Fahrrad als Metapher für eine andere Energie- und Verkehrspolitik, wie es einer der "Rädelsführer", der nachmalige ALG-Gemeinderat und Raumplaner Günther Tischler formuliert. Angelegt als Sternfahrt und mit guter medialer Begleitung auch im Vorfeld und mit Unterstützung der Katholischen Studierenden Jugend strömten aus allen Stadtteilen RadlerInnen aller Altersgruppen und aus allen sozialen Schichten am Eisernen Tor zusammen, zogen gemeinsam durch die Herrengasse - hier wurden die Räder zeitweise in die Höhe gestemmt, um dagegen zu demonstrieren, dass hier nicht einmal das Schieben von Fahrrädern erlaubt war. "Vereinzelte Meldungen über diverse Reifen-`Patschen´ gingen hier vollends in der Euphorie über die große Teilnehmerschar unter", berichtete die "Südost-Tagespost".

Am Hauptplatz fand eine Kundgebung statt, eine Resolution wurde verlesen. "Wir wollen nicht unter die Räder kommen: noch strampeln wir!", "Wir haben nichts zu verlieren, außer unseren Ketten" oder "Macht Platz, Fahrrad kommt" lauteten die Slogans, wobei es nicht nur um die Anliegen der RadlerInnen, sondern um eine neue Verkehrspolitik ingesamt ging. Einer der Hauptakteure, Peter Pritz von der EvG (später einer der Mitbegründer der Alternativen Liste Graz und Österreich, früh gestorben mit 38 Jahren 1983), erklomm den Rathausbalkon, hängte sein Fahrrad hinaus und benannte das Rat- in "Radhaus" um, was mit einem Transparent unterstrichen wurde. Dann wurde eine Resolution verlesen.

Eigentlich waren zu dieser Zeit die Weichen von Planungsstadtrat Erich Edegger schont gestellt: Sein Stadtentwicklungskonzept war aber vorläufig nur Papier, andere Mitglieder der Stadtregierung - auch seiner eigenen ÖVP - agierten als Bremser und den "Radiatoren" ging die Umsetzung insgesamt zu zäh voran. Tatsächlich ließ Edegger auch gegenüber den Medien durchblicken, dass er durch die Demo seine politischen Zielsetzungen unterstützt sah.

Im Anschluss an die Kundgebung zog der Troß durch die Sporgasse in den Stadtpark, wo der auf einem Hochrad mitfahrende Grazer Dorotheum-Direktor Otto Hans Ressler (heute Chef des Auktionshauses im Wiener Palais Kinsky) eine Auktion über 50 Gebrauchträder leitete. Zwischen 50 und 270 Schilling erbrachten die alten Drahtesel. Außerdem wurden außergewöhnliche Fahrräder prämiert.

Illegale Malaktion und mythenumwobene Schablone
In einer Pressekonferenz Anfang August legte man bei der Forderung nach, Einbahnstraßen für Radler zu öffnen: Gefordert wurde diese sonderregelung in Nebenstraßen wie der Schmiedgasse, der Kalchberg- und Kaiserfeldgasse oder der Klosterwiesgasse, insgesamt 13 an der Zahl. (Heute gibt es rund 50 geöffnete Einbahnen, die Schmiedgasse ist für RadlerInnen offene FUZO, Anm.)

Doch wieder waren Monate vergangen, ohne dass die Stadt Taten hätte folgen lassen. Da griffen die Aktivbürger zur spontanen Selbsthilfe. "Manchem Sportsfreund dürfte heute früh i der Wilhelm-fischer-allee der Mund vor Staunen offen gebieben sein", berichtete die NZ über den in einer "nächtlichen Malaktion" aufgepinselten Radweg: Der südseitige Gehsteig war in der Mitte mit einer weißen Linie versehen worden, Radsymbole gabe Orientierungshilfe und anrampungen aus Bitukies ermöglichten den RadlerInnen die barrierefreie Nutzung der "ersten Teilstrecke des Grazer Radwegenetzs (lt. Konzept)".

Dabei passierte den Aktivisten um Günther Tischler eine Kommunikationspanne: Um für die am folgenden Tag angebraumte 2. Sternfahrt zu werben, in deren Rahmen auch die "erste Teilstrecke" eröffnet werden sollte, informierten sie die Medien schon vorab von der illegalen Malaktion - und riefen damit prompt die Polizei auf den Plan.

Bei der Aufnahme der Personalia waren die Uniformierten einigermaßen verwundert, fast durchwegs Diplomingenieure als Tatverdächtige in Sachen Sachbeschädigung vor sich zu haben: Neben Tischler waren dies Gottfried Weißmann, Norbert Kozurek und Franz Holzer, junge akademische Mitarbeiter an der TU oder am Insitut für Umweltforschung (IfU - später Joanneum Research). Gemeinsam mit Peter Hagenauer, dem späteren Grünen-Politiker, Gustl Gogg und dem Grafiker Walter Lendl bildeten sie den Kern der AVG, die im Jänner 1981 die Rechtsform eines Vereins erhielt.

Wie die Geschichte der illegalen Malaktion ausgegangen ist, dürfte bekannt sein: Edegger sorgte dafür, dass die Aktivisten ungeschoren davonkamen, im Gegenzug stellten diese ihm - ohnedies freudig - die aus einem Wachmaschinenkarton ausgeschnittene Radschablone zur Verfügung, um für die künftigen legalen Markierungen eine Vorlage zu haben.

Exkurs: Erst jüngst konnte im Kreise von Interessierten der mythenumrankte Verbleib der Orginalschablone bei der ARGUS-internen Vorführung eines "Club 2" vom 14.8.1984 nachvollzogen werden: Am Schluss der Sendung vermachte Club-Gast Günther Tischler den symbolträchtigen Karton der Stadt Wien und den Wiener RadlerInnen, um sich von Graz was abzupausen. Eine Rolle wird sie und ihre blechernen Nachbauten, mit denen die Radlogos auf den Asphalt kamen, übrigens bei der Ausstellung "Grazgeflüster" spielen, die ab 15. März im Grazer  Stadtmuseum zu sehen ist.     

Mit behördlichem Segen in Betrieb ging der Radweg in Wilhelm-Fischer-Allee im Herbst 1980, ziemlich zeitgleich mit dem ersten Abschnitt des Andritzer Radwegs, 1981 folgten weitere Etappen wie Ring- und Kai-Radweg, Augartenbrücke, die Öffnung der Achse Hans-Sachs-Gasse - Stubenberggasse sowie der ersten Einbahn in der Zinzendorfgasse. Gerade bei der Öffnung der Einbahnen wagte sich Edegger weit auf rechtlich nicht wirklich gesichertes Terrain vor: Mit einer "unechten Einbahn", d.h. der Beschilderung "Einfahrt verboten" mit dem Zusatz "Ausgenommen Radfahrer" umging er die bestehende StVO-Regelung, die erst 1983 entsprechend novelliert werden sollte.


Literatur/ Quellen

Gerfried SPERL: Seit die Steirer zu alternativen Pionieren geworden sind, in: Andreas Unterberger (Hg.): A...wie alternativ, Wien - München 1981, 49-55
Wolfgang WEHAP: frisch, radln, steirisch, Graz 2005
"SüdOst-Tagespost", "Kleine Zeitung", "Neue Zeit" vom 10.6.1979
"Südost-Tagespost 3.8.1979
"Neue Zeit" 14.6.1980
Stellungnahme zum Fuß- und Radwegenetz-Graz, AVG, Nov. 1979
1.Grazer "Frei-Lauf-Manifest", zusammengestellt von der AVG, Mai 1981
Einladung zur 1. "ordentlichen" Generalversammlung der AVG am 17.5.1982


http://graz.radln.net/cms/beitrag/11395124/25359410/