Re: Image der Straßenbahn in Graz
Antwort #24 –
Natürlich, die hier dargestellten Problematiken (Variobahn, Bau- und Mäharbeiten,...) sind ein Grund warum die Tram in Graz mit dem Image zu kämpfen hat.
Es ist aber zu beachten, dass Bau- und Mäharbeiten sowie die Lautstärke der Fahrzeuge sich nur auf die angrenzenden Häuser beschränken - das sind nicht wenige, aber es gilt zu bedenken: Das Einzugsgebiet der Straßenbahn ist weitaus größer und den Bewohnern in der zweiten Hausreihe ist es völlig egal, ob die Besitzer und Mieter der direkt angrenzenden Behausungen durch den Lärm gestört werden.
Ein Fahrzeug kann die edelste Lackierung haben, aussehen wie ein Ferrari und einen Lärmpegel der einem Fahrrad gleicht besitzen - so ist es den meisten Fahrgästen doch völlig egal. Man darf nicht vergessen, wir sind eine handvoll Leute die auf so etwas achten. Ich traue mich wetten, dass 80% der Zeitungsleser Variobahnartikel nicht lesen oder maximal überfliegen. Dem Otto Normalfahrgast ist wichtig, dass er möglichst schnell und bequem von A nach B kommt.
Wir fassen das aktuelle Image der Grazer Straßenbahn aus der Sicht des Fahrgastes zusammen:
-geringe Reisegeschwindigkeit
-Unkomfortabel, was sich in folgende Punkte unterteilen lässt:
-Alte Fahrzeuge
-Hitze
-Unbequeme Sitze, im Vergleich zum Auto
-Rütteln und Lärm. Das betrifft jetzt nicht die Anrainer entlang der Schienenwege, sondern den Fahrgast in der Tram.
-Subjektiv empfundene Unfreundlichkeit des Personals - das betrifft natürlich auch den Busbereich
-Unannehmlichkeiten durch Bauarbeiten. Auch das betrifft nicht die Anrainer, sondern die Fahrgäste die sich in einen kleinen Schienenersatzbus drängeln müssen, weite Umwege ertragen und auch noch mit nicht eingehaltenen Anschlüssen zu kämpfen haben.
Nun liegt es an unserem Lininennetzbetreiber dies zu ändern. Arbeiten wir die Liste von unten nach oben durch:
-Unannehmlichkeiten durch Bauarbeiten
Bauarbeiten (Gleiserneuerungen) tragen zur Betriebssicherheit bei sind unvermeidbar, oder bringen dem im Normalfall dem Fahrgast Verbesserungen (NVD Hauptbahnhof). Das ist auch dem Fahrgast klar, und er zeigt prinzipiell Verständnis dafür. Dieses Verständnis wird aber schnell vernichtet, wenn der Ersatzverkehr zu einem Chaos wird. Nur: Wie kann man dieses Chaos vermeiden? Dazu haben wir 2 Möglichkeiten:
1.) Ein Ersatzverkehr ist nicht - oder kaum - von Nöten, hierbei handelt es sich natürlich um die bevorzuge Lösung. Auch hier das Paradebeispiel Linz: Bauarbeiten beginnen zu später Stunde und enden zu Betriebsbeginn, sodass ein SEV gar nicht oder nur in Schwachlastzeiten benötigt wird. Hierbei ist bei geringen Intervallen selbstverständlich höchste Aufmerksamkeit des Fahrpersonals bei den Anschlüssen zu erwarten.
Kletterweichen sind ebenfalls eine gute Lösung, die zum Glück in Graz noch verwendet wird.
Hier haben zwar die Anrainer wieder den Kürzeren gezogen, aber man muss abwiegen, was wichtiger ist: Die Gunst der paar 100 Anrainer, die möglicherweise die Tram von Haus aus nicht benutzen, oder das Image bei den restlichen 260.000 Einwohnern.
2.) Ein Ersatzverkehr ist unumgänglich. Höchste Priorität liegt hierbei bei der Fahrgastinformation. Zum Beispiel können noch so viele Busse hintereinander stehen, der Großteil der Leute wird in den Ersten einsteigen. Groß angebrachte Plakate oder auch Lautsprecher können den Fahrgast - durchaus auf eine leicht satirische Weise, über welche die Betroffenen selbst lachen können - auf die dahinter stehenden Busse hinweisen. Hinweise, Flyer, Plakate, sogar Radio- oder Fernsehwerbung mit Informationen wie Takt, Linienführung und allgemeine Hinweise sind eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Wichtig ist selbstverständlich auch eine optimale Linienführung, die nicht sehr viele Umwege in Kauf nehmen muss, dass Anschlüsse abgewartet werden müssen, und so weiter. Dieses Thema wurde im Forum schon oft genug durchgekaut, da möchte ich nicht weiter drauf eingehen.
-Subjektiv empfundene Unfreundlichkeit des Personals
Nicht selten hört man "Mah, hiazan mocht der Oasch die Tia wieda net auf!" oder "Der Trottl is ma vor der Nosn davon gfoan!".
Hier herrscht dringender Aufklärungsbedarf. In unserem Kreis ist bekannt, dass Fahrgäste oft nicht gesehen werden oder die Tür bei der Aktivierung der Türfreigabe einfach nicht will. Der Fahrgast empfindet so etwas als Verarsche.
Es gibt doch genug Werbeplätze in den Bussen und Straßenbahnen, an denen ein nett gestaltetes Informationsblatt ausgehängt werden könnte. Manch ein gelangweilter Fahrgast wäre vielleicht erfreut, wenn er etwas zum Lesen findet.
Allerdings sollte man auch darauf achten die Fahrer nicht zu vergraulen. Damit meine ich nicht mit Arbeitszeiten oder Gehalt, sondern diese Wiedersprüche sollten sich aufhören, bestes Beispiel: Um den Fahrplan einzuhalten müssen oft die vorgegebenen Geschwindigkeiten überschritten werden.
Sowohl für das Eine, als auch für das Andere bekommt der Fahrer Schwierigkeiten - das stelle ich mir auf Dauer etwas deprimierend vor.
-Unkomfortabel
Warum ich diese Punkte bekrittle habe ich schon in der Auflistung beschrieben. Um eine Komfortsteigerung zu erreichen gibt es 2 Möglichkeiten: Man setzt sehr alte, oder sehr neue Wägen ein.
Sehr alte Wägen (mit Oldtimercharakter, Fahrzeuge der Reihe 260 zählen hier nicht dazu) werden von der Bevölkerung meistens sehr positiv aufgenommen, siehe Shopping Bim. Bei den etwas betagteren Fahrgästen kommen alte Erinnerungen hoch und die weit verbreitete "Früher-war-alles-Besser"-Einstellung erledigt dann den Rest. Bei den jungen Fahrgästen wird eine Oldtimertram als lustig, neu (im Sinne von einer neuen Erfahrung) und vielleicht sogar als interessant wahrgenommen.
Selbstverständlich ist diese Lösung utopisch: Die Unterhaltung dieser Fahrzeuge würde Unmengen an Geld verschlingen, der Effekt der Neugierde würde nur kurz anhalten. Wird so etwas Standart, beklagen sich die Leute relativ bald für die eigentlich unzumutbaren Zustände. Ein Oldtimerkurs im Abend- und Wochenendverkehr würde vielleicht aber einen Kick für die Fahrgäste sein und das Image etwas erhöhen.
Weit sinnvoller, logischer und weitaus realistischer ist natürlich der Schritt in die andere Richtung. Und zwar nicht im Sinne von "angenehm Reisen", sondern das Fahren mit der Straßenbahn muss zum Erlebnis werden:
Bequem gepolsterte (Massage-)Sitze, ein Tablet-PC zur freien Benützung in der Rückenlehne des Vordermannes, angenehme Raumtemperaturen und erschütterungsfreies und leises durch die Stadt gleiten. Behagliches Innendesign und Reinigung des Fahrzeuges an jeder Endhaltestelle; der Fahrgast soll nicht mehr aussteigen wollen. Er soll sich wie daheim fühlen.
Dies lässt sich bei den kurzen Fahrwegen, die ja im städtischen Bereich die Oberhand haben, schwer umsetzen - deswegen sollte dieses Konzept eher für Langstrecken verwendet werden (mit besten Grüßen an die ÖBB). In urbaner Umgebung sollte ein sinnvoller Kompromis aus Komfort, dessen Sinnhaftigkeit bei Kurzstrecken und Aufwand gefunden werden.
Deswegen komme ich nun zum wohl ausschlaggebensten Punkt:
-geringe Reisegeschwindigkeit
Wir leben in einer Zeit, wo alles schnell gehen muss. Besonders Mobilität muss schnell erfolgen, die Leute halten sich lieber 3 Minuten mehr vor dem Fernseher, als in der Straßenbahn auf.
Wege zur Vermindung der Reisedauer:
-Kurze Wartezeiten an den Haltestellen, sprich einen dichten Intervall. Der Fahrgast zählt die Reisezeit nicht von Haltestelle zu Haltestelle, sondern von Tür zu Tür - und sollte man einmal 10 Minuten auf die Tram warten bringt man die Zeit nur sehr schwer wieder rein.
-Kurze Umsteigezeiten
-Und selbstverständlich hohe Geschwindigkeiten und einen störungsfreien Betrieb der Straßenbahn durch eigene Gleiskörper und Bevorrangung bei Ampeln. Auch dieses Thema wurde schon oft genug diskutiert und braucht von meiner Seite keine weitere Erklärung mehr.
Ich würde diesen Punkt als den wichtigsten der hier aufgelisteten werten. Bestes Beispiel hierfür ist die Westbahn (im Allgemeinen, nicht auf das EVU bezogen): Verdreckte Züge, kaum funktionierende WC und mit etwas Glück bekommt man sogar noch einen Stehplatz, und trotzdem gut besetzte Züge. Warum? Viele Verbindungen und kurze Fahrzeiten. Ich denke, das kann man 1:1 auf den städtischen Verkehr umzulegen.
Noch ein paar allgemeine Dinge, die dem Image der Öffis in Graz vielleicht ganz gut tun würden, nicht nur auf die Straßenbahn bezogen:
Mehr Werbung, die durchaus lustig beziehungsweise unterhaltsam sein darf und soll. Die Kleine Zeitung hat es mit ihrer Variobahn-Kampagne vorgezeigt, und die wurde durchwegs positiv aufgenommen.
Ich denke da zum Beispiel an ein Bild der Busarage mit der Bildüberschrift
"Sie haben einen Mercedes in ihrer Garage stehen?
Nett. In unserer stehen 127."
Werbung, wie schon öfters erwähnt, durchaus auch in Radio und Fernsehen wo sie auf Massen trifft, die Öffiwerbungen normalerweise kaum beachten.
Weiters, finde ich, sollte die HGL durchaus einmal Zähne zeigen und sich nicht alles gefallen lassen, wie zum Beispiel den 15er in der Murgasse.
Sollten sich die Geschäfte in der Innenstadt aufregen, dass die Straßenbahn zu schnell/laut unterwegs ist, könnte man doch anbieten, den innenstädtischen Verkehr einen Tag lang umzuleiten. Mal sehen, woher die Kunden dann kommen sollen.
Conclusio:
Den Leuten ist es völlig egal, ob sie in einer grünen, silbernen, roten, braunen, schwarzen, lauten, leisen, schönen, hässlichen, runden, eckigen, bunten, trostlosen kurzen, langen, hohen oder niedrigen Straßenbahn sitzen, solange sie sich schnell und bequem fortbewegen können.
Auf die Anrainer Rücksicht zu nehmen ist zwar notwendig, aber nicht so wichtig wie die Meinung über die Öffentlichen der restlichen Grazer Bevölkerung.
A developed country is not a place where the poor have cars. It's where the rich use public transport.
-Gustavo Petro