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Thema: Stauet, ihr Kunden! (Artikel zu verfehlter Raumplanung) (3794-mal gelesen) Vorheriges Thema - Nächstes Thema

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Stauet, ihr Kunden! (Artikel zu verfehlter Raumplanung)
Stauet, ihr Kunden!
Von Reinhard Seiß (Die Presse)

Nicht nur zur Weihnachtszeit: Österreich ist Europameister im Einkaufen. Kein EU-Land verfügt über mehr Einzelhandelsfläche pro Kopf, und die wiederum findet sich überwiegend in Shopping-Malls an den Stadträndern. Sterbende Zentren? Bodenverbrauch? Vermehrtes Verkehrsaufkommen? Na und?
Rechtzeitig zu Beginn des Weihnachtsgeschäfts wurde Ende November der während dreier Jahre ausgebaute Wiener Westbahnhof wiedereröffnet. Nicht, dass sich die Österreichischen Bundesbahnen damit für einen Ansturm an Kauflustigen, die per Zug nach Wien strömen, rüsteten - nein: Die ÖBB buhlen mit den 90 Geschäften und den zahlreichen Gastronomieeinrichtungen ihrer Shopping-Mall, die unter, neben und in der denkmalgeschützten Bahnhofshalle errichtet wurde, vor allem um die Kaufkraft der Wiener. Dabei ist die Bahnhofcity Wien West mit ihren 17.000 Quadratmetern Handelsfläche erst der Anfang. Am künftigen Hauptbahnhof entstehen 24.000 Quadratmeter Handelsfläche und am neu gebauten Bahnhof Wien Mitte gar 30.000. Während die innere Mariahilfer Straße, die mit Abstand bedeutendste Einkaufsstraße der Stadt, die ÖBB-Mall zweifellos verkraften wird, dürfte die äußere Mariahilfer Straße unter der Konkurrenz des Westbahnhofs bald ebenso leiden wie demnächst die Favoritenstraße unter dem Einkaufszentrum am Hauptbahnhof und die Landstraßer Hauptstraße unter Wien Mitte.

Dabei handelt es sich hier um die drei bedeutendsten jener nominell rund 100 Geschäftsstraßen, die bis in die 1980er-Jahre die Versorgung der Millionenmetropole sicherten. Die meisten anderen haben längst ihre ursprüngliche Funktion verloren. Ihre Erdgeschoßzonen werden in seltenen Glücksfällen von trendigen Boutiquen, jungen Ateliers der Kreativwirtschaft oder der boomenden Szenegastronomie belebt - im Regelfall aber schwanken sie zwischen Wettlokalen, Handy-Shops, Sonnenstudios und Leerstand. Mehr als 100.000 Quadratmeter Verkaufsfläche liegen in den traditionellen Einkaufsstraßen brach - und schuld daran sind nicht einmal die großen Kaufkraftmagnete inmitten der Stadt, die in Wien erst jetzt nach und nach aus dem Boden schießen, sondern ein jahrzehntelanger Handelsflächenwildwuchs am Stadtrand, dies- und jenseits der Wiener Landesgrenze. Das ewige Lamento des Rathauses, die niederösterreichischen Umlandgemeinden würden mit ihren Einkaufszentren die Kunden aus der Stadt abziehen, ist indes nicht viel mehr als eine Ausrede. Denn noch ehe Vösendorf 1976 mit der Shopping City Süd - mit 330 Geschäften auf 270.000 Quadratmetern Verkaufsfläche und alljährlich 25 Millionen Kunden heute eines der größten Einkaufszentren Europas - den Länderzweikampf um Kaufkraftströme und Steuereinnahmen eröffnete, stand im 22. Bezirk bereits das Donauzentrum, das es - mehrmals erweitert - inzwischen auch auf beachtliche 100.000 Quadratmeter bringt.

Und Wien wurde zu keiner Zeit müde, die "Handelsbilanz" mit seinem Nachbarn nachzubessern: Am Rande des 14. Bezirks, wo die Westautobahn in den Wienerwald führt, steht das nach wie vor wachsende Fachmarktzentrum Auhof mit Niederlassungen der gängigsten Handelsketten, aber auch mit einem Cineplexx-Kino und anderen Freizeitangeboten. Wiener verirren sich vergleichsweise selten dorthin. Dafür liegt der Handelskomplex für Pendler aus dem westlichen Niederösterreich direkt am Arbeitsweg - und versorgt so sämtliche Umlandgemeinden zwischen Wien und St. Pölten. Und auch der vor einigen Jahren ventilierte Plan von Frank Stronach, auf den Äckern von Rothneusiedl nebst einem Fußballstadion auch ein Einkaufszentrum zu errichten, wurde vom Rathaus damit begründet, dass dieses EKZ als Gegengewicht zur nahen SCS fungieren könnte. Von allen Bundesländern hat Wien heute die laschsten Bau- und Raumordungsrichtlinien betreffend die Entwicklung des Handels - und folglich auch die höchste Dichte an Einkaufs- und Fachmarktzentren. Diese entstanden mehrheitlich, als längst bekannt war, welch nachteilige Auswirkungen das Einkaufen auf der grünen Wiese nach sich zieht - sei es der Niedergang der klein strukturierten Nahversorgung, sei es der immense Flächenverbrauch für ausgedehnte Parkplätze, sei es die zunehmende Abhängigkeit des Einkaufens vom Auto.

Während andere Bundesländer Handelseinrichtungen ab einer Größe zwischen 500 und 1500 Quadratmeter Verkaufsfläche als Einkaufszentren klassifizieren und dafür spezielle Genehmigungsverfahren vorsehen, läuft in der Hauptstadt alles bis 2500 Quadratmeter unter Supermarkt - und ist somit quasi überall ohne besondere Bewilligungen realisierbar. Die meisten Länder unterscheiden in ihren Gesetzen weiters, ob es sich um innerstädtische oder periphere Einkaufsstandorte handelt, ob um Anbieter von "zentrumsrelevanten" Gütern des täglichen Bedarfs oder um "autoaffine" Branchen wie Baustoffmärkte, Gartenmärkte oder Autohändler - nicht so Wien.

Im Gegenteil: Ein Kontrollamtsbericht aus dem Jahr 2001 förderte zutage, dass in den 1990er-Jahren 54 von insgesamt 132 in der Bundeshauptstadt entstandenen Einkaufs- und Fachmarktzentren ohne die - ohnedies zahmen - erforderlichen Widmungen und Bewilligungen realisiert wurden. In beängstigender Regelmäßigkeit drückte die Baupolizei gegenüber den abenteuerlichsten Konstrukten der Bauwerber beide Augen zu, um ihnen das aufwendigere Flächenwidmungsverfahren für Einkaufszentren zu ersparen. So wurden auf einem Areal im 22. Bezirk elf vermeintlich eigenständige Verkaufsstätten mit jeweils knapp weniger als 2500 Quadratmetern eingereicht, bewilligt und in geschlossener Bauweise errichtet, vor ihrer Fertigstellung aber durch 37 baubehördlich genehmigte Feuermauerdurchbrüche zu einem Shopping-Center vereint. Übersehen haben musste die Baupolizei, dass die elf Läden von Anfang an eine bauliche Einheit bildeten, zumal sie durch eine gemeinsame Tiefgarage verbunden waren.

Wer Wien kennt, weiß, dass solches nicht von einzelnen Beamten allein verantwortet wird, sondern politischer Rückendeckung bedarf. Und wer Österreich kennt, den wundert es nicht, dass der damals für die Baubehörde zuständige Stadtrat keineswegs über diesen Skandal stolperte, sondern heute Bundeskanzler der Republik ist. Einer Republik, in der man gemeinhin denkt, es sei nichts so schlimm, als dass es uns zum Umdenken bewegen müsste, zumal es anderswo bestimmt noch viel schlimmer sei. Ein Blick auf einige Zahlen freilich würde - zumindest in Sachen Nachhaltigkeit und Konsum - eines Besseren belehren: Mit 1,9 Quadratmetern Einzelhandelsfläche pro Kopf liegt die Alpenrepublik EU-weit mit großem Abstand an erster Stelle. Deutschland folgt auf Platz zwei mit vergleichsweise bescheidenen 1,4 Quadratmetern und Großbritannien etwa findet mit lediglich 0,7 Quadratmetern das Auslangen. Gleichzeitig liegen in Österreich ganze 51 Prozent der Handelsfläche an der Peripherie, also weitab der Kunden und auch des öffentlichen Verkehrs - in der Bundesrepublik dagegen nur 17 Prozent.

Man kann unserem Land also getrost eine 50- bis 100-prozentige Überversorgung im Einzelhandel attestieren - und das zu zwei Dritteln an den falschen Standorten. Der Wildwuchs an entlegenen Märkten ist demnach längst kein Phänomen der Hauptstadtregion mehr, sondern bundesweite Realität. So hat nicht nur Wien sein schon sprichwörtliches Vösendorf, Graz sein Seiersberg, Linz sein Pasching und Salzburg sein Wals-Siezenheim - nahezu alle Bezirkshauptstädte, ja sogar Marktgemeinden mit wenigen Tausend Einwohnern verfügen inzwischen über ihre Einkaufskonglomerate auf der grünen Wiese und infolgedessen über verödende Stadt- und Ortskerne.

Damit einher geht ein immenser Bodenverbrauch, der - für Österreichs gesamte Siedlungstätigkeit - beim Zehnfachen des 2002 definierten Nachhaltigkeitsziels der Bundesregierung liegt: Laut Umweltbundesamt nehmen wir pro Tag ganze 24 Hektar für unseren stetig wachsenden Siedlungsraum in Anspruch - und unser Einkaufsverhalten trägt massiv dazu bei. Die heimischen Supermärkte, Fachmärkte und Einkaufszentren offerieren insgesamt rund 2,8 Millionen Stellplätze. Bei etwa vier Millionen PKW in diesem Land verfügt beinahe jeder Autofahrer über seinen eigenen Shopping-Parkplatz - der auch rege Nutzung erfährt: Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) errechnete, dass die Österreicher jährlich 5,4 Milliarden PKW-Kilometer allein fürs Einkaufen zurücklegen. Das entspricht 352 Erdumrundungen täglich! Oder 38 Reisen von der Erde zum Mond, Tag für Tag - für Wege, die zu 90 Prozent auch zu Fuß oder per Fahrrad bestritten werden könnten.

Für den Großraum Wien geht der Verkehrswissenschaftler Gerd Sammer davon aus, dass "Einkaufen und Erledigungen" im Jahr 2035 mit einem Anteil 38 Prozent den wichtigsten Wegezweck im PKW-Verkehr darstellen werden, noch vor dem Arbeits- und Dienstverkehr, der derzeit bei 32 Prozent hält. Dies deckt sich mit den Prognosen von Einzelhandelsexperten, die auch für die nächsten Jahre allein im Bereich der Einkaufs- und Fachmarktzentren Zuwachsraten von 100.000 Quadratmeter Mietfläche per anno erwarten - ein Gutteil davon in peripherer Lage. Damit ist von einer weiteren Steigerung von derzeit 207 auf demnächst 230 solcher Zentren auszugehen. Allein im zu Ende gehenden Jahr kamen unter anderem das M4 Plus in Wörgl, der Innpark in Kufstein, die Arkade in Salzburg, der Panoramapark in Neunkirchen oder der Shopping Park Haidäcker in Eisenstadt hinzu. Nächstes Jahr steht in Gerasdorf, einer von Wiens nördlichen Nachbargemeinden, die Eröffnung des mit 70.000 Quadratmeter Verkaufsfläche fünftgrößten Einkaufszentrums Österreichs an. Die Standortkriterien deuten auch hier nicht wirklich auf einen planungs-, verkehrs- oder umweltpolitischen Gesinnungswandel hin, wenngleich die Investoren ihr Projekt ungeniert mit dem Etikett "nachhaltig" schmücken: Ohne das weitläufige und günstige Bauland im Grünen, ohne die hochrangige Straßenerschließung durch A5 und S1 und ohne die unmittelbare Nähe zu den Kunden aus der Millionenstadt Wien würde sich die Wertschöpfung auf diesem Gelände wohl weiterhin auf Futtermais und Zuckerrüben beschränken.

Nicht haltbar hingegen wäre der Vorwurf, es handle sich dabei um eine weitere Bösartigkeit des schwarzen Niederösterreichs gegenüber dem roten Wien, unmittelbar an dessen Grenze einen weiteren Shopping-Tempel zu genehmigen. Denn der Investor und Entwickler des "G3" ist niemand Geringerer als die BAI, die Immobilientochter der einst roten Bank Austria, die nach wie vor zum wirtschaftlichen Netzwerk der Wiener SPÖ zählt. Vielleicht gab es darum keinerlei Proteste gegen das Projekt seitens des Wiener Rathauses. Vielleicht aber auch, weil in Gerasdorf angeblich Niederösterreichs letztes Einkaufszentrum auf der grünen Wiese entsteht. Seit 2004 schreibt das Landesraumordnungsgesetz nämlich vor, dass Geschäfte mit stadttypischem Sortiment nur noch in den planlich festgelegten Zentrumszonen der Städte und Gemeinden errichtet werden dürfen. Dem Vernehmen nach konnte das "G3" bei seiner Genehmigung 2006 gerade noch unter wohlwollender Interpretation aller Übergangsfristen "durchgewunken" werden. Trotzdem soll nun beispielsweise aber die Verkaufsfläche des Fischaparks am westlichen Stadtrand von Wiener Neustadt bis 2013 auf 43.000 Quadratmeter verdoppelt werden. Was entweder auf eine recht pragmatische, sprich großzügige Definition von "Zentrum" seitens der Kommunalpolitik hindeutet, oder aber an der Ernsthaftigkeit der Landespolitik im Umgang mit ihren eigenen Gesetzen zweifeln lässt.

Die Ursachen für die in ganz Österreich überzogene Einzelhandelsentwicklung sind mannigfaltig. So herrscht in diesem - an Monopole und Oligopole gewohnten - Land eine europaweit seltene Konzentration der Branche, sei es im Möbel- oder im Elektrohandel, sei es bei den Baumärkten, den Textildiscountern oder im Lebensmittelhandel. Letzterer befindet sich im Wesentlichen in den Händen der beiden Konzerne Spar und Rewe, die - und das erklärt eine gewisse Machtposition gegenüber Politik und Planung - mit jeweils mehr als 70.000 Beschäftigten die beiden größten Arbeitgeber Österreichs sind. Nur Handelsunternehmen von diesem Rang können sich beispielsweise leisten, Standorte nur deshalb zu besetzen, um sie nicht dem Konkurrenten zu überlassen. Allein in dieser "Strategie der verbrannten Erde" liegt ein Teil des überbordenden Handelsangebots begründet. Inzwischen führt dieses Überangebot bereits dazu, dass sich Einkaufszentren - wie es heißt - gegenseitig kannibalisieren. Leoville zum Beispiel, eine Agglomeration von 60 Shops an der A2 bei Leobersdorf, im Niemandsland zwischen Baden und Wiener Neustadt, schloss schon nach drei Jahren wieder seine Pforten.

Trotzdem versprechen Handelsimmobilien immer noch die höchsten Renditen: Billigste Architektur auf billigstem Boden bedeutet geringstmögliche Investitionen, die öffentliche Hand steuert in der Regel eine leistungsfähige Verkehrserschließung kostenlos bei, die Mietdauer ist im Handel üblicherweise länger als etwa bei Büros - und die Mietpreise beginnen im Shopping-Center dort, wo man bei Büroimmobilien bereits im gehobenen Bereich angekommen ist: bei etwa 15 Euro pro Quadratmeter. Spitzenmieten im Einzelhandel bewegen sich bei 100 Euro - und in Toplagen, etwa im geplanten EKZ Wien Mitte, klettern sie auf bis zu 250 Euro.

Ein Grund für den Einzelhandelsboom ist auch, dass Österreichs Siedlungsentwicklung ganz wesentlich von kommunalpolitischen Entscheidungen, sprich Egoismen geprägt wird - was zum Teil systemimmanent ist: Die einzige nennenswerte Einnahmequelle für die Gemeinden ist die Kommunalsteuer, die Betriebe entsprechend der Zahl ihrer Mitarbeiter entrichten. So herrscht unter den 2357 Städten und Gemeinden ein insgesamt ruinöser Wettlauf um die Ansiedlung von Unternehmen, die in Zeiten des schwindenden Produktionssektors eben zunehmend aus dem Einzelhandel kommen.

Dazu passt, dass sich die Handelsketten ohnehin gern in Gewerbegebieten ansiedeln, wo der Grundstückspreis niedrig und genügend Fläche für ausgedehnte Parkplätze vorhanden ist. Da Gewerbegebiete aber bewusst von Wohngebieten ferngehalten wurden, sind die Geschäfte nicht mehr zu Fuß oder mit dem Rad und auch nur selten mit öffentlichen Verkehrsmittel zu erreichen - sodass man eben mit dem Auto dorthin fährt.

Der wesentlichste Grund für die kurzsichtige Handelsentwicklung liegt aber in der mangelnden bundes- und landespolitischen Verantwortung für eine geordnete und zukunftstaugliche Siedlungsstruktur. Der Bund gestaltet diese zwar maßgeblich durch seine Wirtschafts- und Finanzpolitik, durch seine Verkehrs- und Infrastrukturinvestitionen mit, lässt aber jede Koordination zwischen diesen Ressorts im Sinne seiner Nachhaltigkeitsziele vermissen. Die Landtage wiederum, im Wesentlichen eine Vollversammlung der einflussreichsten Bürgermeister, stellen bei ihren Entscheidungen nach wie vor allzu oft individuelle, lokale Begehrlichkeiten über das Wohl der Allgemeinheit, über die Interessen einer ganzen Region.

Davon berichtet unter anderem auch der ehemalige Wirtschaftskammerfunktionär Richard Schmidjell in seinem Buch über die Salzburger Raumordnungspolitik und insbesondere über die Einkaufszentrenentwicklung ("Raumordnung in Salzburg: Einkaufszentren 1975 bis 2005", Lit Verlag): Im Jahr 1999 soll es bei den Verhandlungen zur Bildung der Salzburger Landesregierung ein Übereinkommen von ÖVP und SPÖ gegeben haben, in dem Flächenwidmungen für konkrete Grundstücke und bestimmte Handelsunternehmen zugesagt beziehungsweise ausgeschlossen wurden. Das heißt nichts anderes, als dass im Zuge eines parteipolitischen Kuhhandels Planungen der Fachbehörden aufgehoben und Entscheidungen über Verfahren, die noch liefen oder noch gar nicht eingereicht waren, ohne sachliche Grundlage vorweggenommen wurden.

Komplettiert wird das Sittenbild der Salzburger Standortpolitik dieser Jahre noch dadurch, dass der damals für Raumordnung verantwortliche Landesrat großformatige Inserate schalten ließ, in denen er die Segnungen von Einkaufszentren pries: Diese würden nämlich Lehrlinge ausbilden und auch Behinderte beschäftigen, die Arbeitnehmer dort wären gewerkschaftlich organisiert - und im Übrigen würden die Konsumenten diese Einkaufsform ganz einfach schätzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2011)

Re: Stauet, ihr Kunden! (Artikel zu verfehlter Raumplanung)
Antwort #1
Nicht erwähnt wird in diesem Artikel leider, dass ein Grund für die Einkaufszentren der ist, dass diese ganz einfach ein Service bieten, das man in der Innenstadt vergeblich sucht. So sind in Einkaufszentren Kundengarderobe mit Schließfächern, Kundentoiletten, sowie rauchfreie Lokale eine Selbstverständlichkeit. Man kann also kommen, seinen Mantel ins Schließfach sperren und den ganzen Tag im Warmen verbringen, ohne jemals hinaus zu müssen. In der Innenstadt erfüllt das höchstens noch der Kastner & Öhler, wobei hier aufgrund der Aufgabe des Medienhauses leider nicht mehr alle Produkte zu finden sind.

Auch das mit der Erreichbarkeit mit dem Fahrrad stimm so nicht. Sowohl Murpark, Citypark als auch Center West in Graz sind bequem per Fahrrad erreichbar. Selbst die Shopping City Seiersberg liegt direkt an einem Radweg. Und zumindest von Leibnitz weiß ich, dass das dortige EKZ Weinland bequem mit dem Fahrrad erreichbar ist.

Liebe Grüße,
Stefan

  • kroko
Re: Stauet, ihr Kunden! (Artikel zu verfehlter Raumplanung)
Antwort #2
Das mit dem "Service" in den Einkaufszentren finde ich nicht. Man hat dort lästige Dauerbeschallung und Hektik, und vor allem ist alles ganz offensichtlich reine Fassade, um den Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen, während ich die Innenstadt zumindest einigermaßen "authentische" und "echt" finde. Die rauchfreien Lokale in Einkaufszentren gibt es übrigens erst seit einer Klagenflut, und gegen den heftigsten Widerstand der Betreiber. Aber, wie so oft in Österreich, ist das ganze halt wieder mal Symbol des typischen Egoismus, gepaart mit Wurschtigkeit: Einkaufszentren verursachen der Allgemeinheit viele Nachteile, aber die Politik ist zu feig und die Leute sind zu ignorant. Balkanland Österreich, wie so oft.


Re: Stauet, ihr Kunden! (Artikel zu verfehlter Raumplanung)
Antwort #3

Das mit dem "Service" in den Einkaufszentren finde ich nicht.


Ich habe drei Punkte aufgezählt, du bist nur auf einen eingegangen.

Zitat
Man hat dort lästige Dauerbeschallung und Hektik,


Besser Dauerbeschallung mit Popmusik, als Dauerbeschallung von Tierschutzterroristen, die regelmäßig am Grazer Hauptplatz nerven.

Zitat
und vor allem ist alles ganz offensichtlich reine Fassade, um den Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen,


Ich habe kein Problem damit, wenn Geschäftsleute eine angenehme Atmosphäre schaffen, in der ich gerne mein Geld ausgebe.

Zitat

während ich die Innenstadt zumindest einigermaßen "authentische" und "echt" finde.


Im Sommer kann man das durchaus genießen, im Winter überwiegen da die Nachteile, wobei ich nochmal wiederhole, dass Kastner & Öhler eine positive Ausnahme darstellt.

Zitat
Die rauchfreien Lokale in Einkaufszentren gibt es übrigens erst seit einer Klagenflut, und gegen den heftigsten Widerstand der Betreiber.


Kann man so allgemein nicht sagen. IKEA und Interspar Restaurant haben AFAIR ohne Murren und zügig das Rauchverbot umgesetzt.

Liebe Grüße,
Stefan

  • kroko
Re: Stauet, ihr Kunden! (Artikel zu verfehlter Raumplanung)
Antwort #4
Na, dass es in der Grazer Innenstadt keine Schließfächer und keine Kundertoiletten gibt darf einen nicht wundern - glaubst du wirklich, dass jede Boutique und jeder kleine Händler eigene Schließfächer haben sollte? Wofür? Einkaufen in einer Innenstadt zeichnet sich eben dadurch aus, dass man von einem Geschäft zum nächsten bummelt. Dass du gern in Einkaufszentren gehst ist deine Sache, die Argumente ("Tierschutzterroristen" usw.) sind aber ziemlich windig. Eine Stadt ist eben gottseidank keine reine exklusive private Shoppingmeile, aus der man unliebsame Menschen draußen hält, sondern eben sozialer Raum. Genau das macht den Reiz einer Stadt aus - dass was los ist, das über blanke Inszenierung a la "Wir zeigen euch den neuesten Casting-Star" hinausgeht. Wer das nicht zu schätzen weiß, soll eben ins Einkaufszentrum gehen, ist ja in Ordnung - aber dass dadurch ganz massive Probleme entstehen wirst du nicht leugnen können, ebenso wenig wie die Tatsache dass es bei uns in Österreich infolge feiner Politik und ignoranter Wählerschaft in Sachen Raumplanung ganz extrem düster ausschaut.

Re: Stauet, ihr Kunden! (Artikel zu verfehlter Raumplanung)
Antwort #5
Hallo,


Na, dass es in der Grazer Innenstadt keine Schließfächer und keine Kundertoiletten gibt darf einen nicht wundern - glaubst du wirklich, dass jede Boutique und jeder kleine Händler eigene Schließfächer haben sollte? Wofür?


Dann sollen die Geschäftsinhaber sich nicht wundern, dass so manches Geschäft ihnen entgeht. Ich bin 5 Jahre lang (öffentlich) gependelt und das Fehlen von Schließfächern war öfters der Grund, warum ich am Nachhauseweg nichts eingekauft habe, sondern stattdessen lieber getrennt ins Einkaufszentrum gefahren bin.

Zitat
Einkaufen in einer Innenstadt zeichnet sich eben dadurch aus, dass man von einem Geschäft zum nächsten bummelt.


Und genau das ist bei schlechtem Wetter einfach unbequem.

[quote ]Dass du gern in Einkaufszentren gehst ist deine Sache, die Argumente ("Tierschutzterroristen" usw.) sind aber ziemlich windig.[/quote]

Dein Argument "Dauerbeschallung" war um nichts besser.

Zitat
Wer das nicht zu schätzen weiß, soll eben ins Einkaufszentrum gehen, ist ja in Ordnung - aber dass dadurch ganz massive Probleme entstehen wirst du nicht leugnen können, ebenso wenig wie die Tatsache dass es bei uns in Österreich infolge feiner Politik und ignoranter Wählerschaft in Sachen Raumplanung ganz extrem düster ausschaut.


Ich bin zwar auch sehr dafür, den motorisierten Individualverkehr deutlich einzuschränken, aber wirklich düster sieht es in Österreich nun wirklich nicht aus. Probleme gibt es überall, wirklich dramatisch sind sie nicht. Verbesserungen sind natürlich immer möglich, deshalb habe ich mit meinen Postings auch Aspekte aufgezeigt, die in Zeitungsartikeln oft fehlen.

Liebe Grüße,
Stefan

  • kroko
Re: Stauet, ihr Kunden! (Artikel zu verfehlter Raumplanung)
Antwort #6
Naja, dass größere Geschäfte Schließfächer brauchen könnten seh ich durchaus ein. Dass die Konditorei Linzbichler auf 10 m² keine Schließfächer hat ist aber ganz logisch, find ich. Ich finde die Dauerbeschallung in Geschäften wirklich sehr lästig, weil sie eben, wie das Wort sagt, dauernd ist. Gar nicht nur in Einkaufszentren, sondern auch in normalen Spar-Märkten und dergleichen. Vielleicht finden das andere Leute gut, ich nicht. Da ist es mir viel lieber wenn in der Stadt irgendein Krawall ist, meinetwegen eine Demonstration, daran gehe ich ja vorbei und höre es bald nicht mehr. Für mich sind halt Shoppingzentren insgesamt eine Merkmal einer Pop&Plastik-Konsumgesellschaft. Das ist wie wenn jemand nach Frankreich auf Urlaub fährt und dann dort nur ins Disneyland geht - alles Kulisse, nichts echt. Aber ich verstehe natürlich, dass man das anders sehen kann.