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Thema: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück (7861-mal gelesen) Vorheriges Thema - Nächstes Thema

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Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #15
Also, "Disneyland" würde ich die Wiederaufbaubestrebungen sicher nicht nennen. Das ist zwar derzeit ein häufig in die Diskussion geworfenes Schlagwort, wenn nicht Niederschlag-Argument, das aber sicher nicht zutrifft.
Weiß doch jeder, dass die Disneyländer irgendwo in der Pampa aus dem Boden gestampft wurden, wo jedes Gebäude ein reines Fantasieprodukt ist, das historisch folglich keinerlei Bedeutung besitzt.

Wenn zum Beispiel der Landtag des Bundeslandes Brandenburg beschlossen hat, das durch den Bombenkrieg ausgebrannte, ~1959 weggesprengte Stadtschloss von Potsdam wiederaufzubauen, weil unter anderem von genau diesem Gebäude aus zum ersten Mal die Folter verboten wurde oder die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde (lt. Angabe der Internetseite der BB-Landesregierung), dann hat das mit "Disneyland" genau gar nichts zu tun. Abgesehen davon hätte sowieso ein Neubau errichtet werden müssen, gleichzeitig hatte das Fehlen des Stadtschlosses eine riesige städtebauliche Brachfläche mitten im historischen Zentrum Potsdams hinterlassen.
Dass überall versucht wird, private Gelder anzuzapfen, finde ich richtig. Genau die Anti-Wiederaufbau-Fraktion ist immer die erste, die sonst schreit: "Wie kann man nur mit Steuergeldern aufwendige Fassaden finanzieren, wenn auf der anderen Seite noch immer nicht alle Menschen billige Wohnungen erhalten haben!" Allen recht machen kann man es nicht.

Abgesehen davon ist Deutschland so zugepflastert mit Mahnmalen und konservierten Ruinen (z. B. Berliner Gedächtniskirche oder Anhalter Bahnhof,...) wie wahrscheinlich kaum ein anderes Land der Erde. Wenn, dann wünsche ich mir endlich einmal ein Mahnmal gegen das Errichten von Mahnmalen.

Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #16
Übrigens: Weil du den Grazer Schlossberg erwähnt hast:

Da gab es doch die Thomaskapelle, einen romanischen Rundbau aus dem ~11. Jahrhundert mit Kuppeldach unmittelbar neben dem Glockenturm mit der "Liesl" . Bis 1809 besaß dieser ein Kupferdach, welches dem guten Napoleon als Friedensbedingung übergeben werden musste. Nach der Demontage des Daches soll der Bau langsam, da ohne dichtes Dach, zerfallen sein. Würde sich ein Sponsor finden und man könnte aus dem Boden die dort vielleicht noch liegenden, behauenen Steine wiedergewinnen und gesetzt den Fall, man könnte diese auch noch katalogisieren und richtig aneinanderfügen (à la Dresdner Frauenkirche), dann wäre ich für einen Wiederaufbau sicherlich zu begeistern.

Der Campanile von Venedig ist übrigens gerade einmal 100 Jahre alt! Der echte stürzte nämlich um 1910 plötzlich ohne äußeres Zutun um.

Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #17
@Kroko: Dann könnte man die Grazer Altstadt tw. auch schon Disneyland nennen. Von unzähligen Bauwerken steht nur mehr eine (vll. auch noch durch Aufstockungen etc) verschandelte Fassade, alles dahinter wurde zerstört. Und eine historisch halbwegs korrekt rekonstruierte Burg am Schlossberg ist mir lieber als unpassende Wohnprojekte im Pfauengarten oder Blechdächer in der Sackstraße, um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen.

  • kroko
Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #18
Ich bin weder ein Vertreter der "Anti-Wiederaufbau-Fraktion" (sondern einfach ein einzelner Mensch), ich jammere nicht über das Errichten von Fassaden mithilfe von Steuergelder, und ich habe nicht gesagt dass so ein Wiederaufbau immer ein Disneyland ist (sondern nur ein kleines bisschen in diese Richtung geht).

Ein bisschen subtiler argumentieren kann man aber schon: Der Campanile in Venedig wurde unmittelbar nach dem Einsturz wieder errichtet, und zwar (soweit ich weiß) weitgehend in der urspünglichen Form. Und die Grazer Altstadt mag ausgehöhlt und verschandelt sein, aber hat sicher trotzdem eine hohe Kontinuität. Da ist es schon was ganz anderes, wenn Gebäude vollkommen neu wieder gebaut werden, die viele Jahrzehnte nicht existiert haben, und die kaum ein lebender Mensch mehr in echt gesehen hat.

Ich habe auch gar nichts gegen das "Anzapfen" von privaten Geldern. Meinetwegen, soll sein - nachdem in unseren Staaten offenbar die Allgemeinheit für nichts mehr Geld hat, während einige einzelne (die ja eigentlich Teil der Allgemeinheit sein sollten) extrem viel Geld haben. Aber dass diese Gebäude als blanke Fassaden mit völlig anderem Inneren und völlig anderer Funktion wieder aufgebaut werden, finde ich falsch. Lieber mehr Geld in die Hand nehmen, die Sache staatlich finanzieren, und dafür eine anständige Verwendung finden. (So wie bei der Dresdner Frauenkirche, die ja gottlob nicht als Einkaufszentrum wiedererstanden ist).

Ich glaube halt daran, dass Denkmäler einen Alterswert (Alois Riegl) haben. Und dass man nicht immer dann, wenn ein wichtiges Denkmal zerstört wird, halt einfach eine billige Kopie davon machen kann und so tun als wäre alles wieder gut.

Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #19
kroko, ich habe bezüglich der Erhaltung und des Alterswertes von Gebäuden genau dieselben Gedanken wie du. Natürlich hat ein teilweise als Einkaufszentrum wiederaufgebautes Schloss (Braunschweig) niemals mehr die architektonisch-kulturelle Bedeutung des originalen, vernichteten Schlosses. Zugegeben. Dennoch heiße ich eine Rekonstruktion gut, wenn sie an einem bestimmten historisch-städtebaulichen Ort wieder eine "Wunde lindert", man muss sicher nicht jedes Bauwerk rekonstruieren. Immerhin wurden im Falle des Braunschweiger wie auch des Potsdamer Schlosses noch immer auf Deponien vorhanden gewesene Original-Steine wiederverwendet. Das finde ich angemessen, auch wenn diese sich meist schwarz oder durch Beschädigungen vom ansonsten hellbraunen Sandsteinton markant abheben.

Auch habe ich mit "Anti-Wiederaufbau-Fraktion" keineswegs dich gemeint, tut mir leid für dieses Missverständnis, denn meine Beispiele handelten ja von Berlin, Potsdam, Dresden, Frankfurt/ Main. Dort gibt es ganze Parteien und deren Dunstkreise, die vordergründig auf "sozial" machen und nebenbei ständig gegen Wiederaufbauten polemisieren und sogar Aufmärsche dagegen organisieren: Entweder, wenn Steuermittel für Rekonstruktionen verwendet werden sollen oder aber andererseits, wenn es nur mittels "Kommerzialisierung" zu ermöglichen ist... Recht kann man es denen nicht machen.

  • kroko
Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #20
Ich bin ja auch nicht prinzipiell gegen Wiederaufbau. Die Wiederrichtung der Dresdner Frauenkirche finde ich beispielsweise großartig - dort wurde wirklich "eine Wunde geheilt". Beim Braunschweiger Stadtschloss bin ich nicht so überzeugt, beim Berliner Stadtschloss hätte ich wirklich die Erhaltung des Palastes der Republik für besser gehalten. Man darf nicht vergessen, dass man auch mit dem Abreißen jüngerer Architektur etwas vernichtet. Und gerade die Nachriegsarchitektur ist derzeit besonders gefährdet, weil als qualititativ schlecht und hässlich in Verruf. Und irgendwann fehlen dann sicher auch einige von diesen Bauten schmerzlich.

(Ich denke es ist überhaupt ein Phänomen, dass die Architektur von ein, zwei Generationen früher einen schlechten Ruf hat, und gern zugunsten neuerer - oder älterer - Bauten abgerissen wird. Könnte eine Art Übersättigungseffekt sein, könnte auch was freudianisches haben --- aber ich schweife ab.)

PS: mit der Zeile " hätte sowieso ein Neubau errichtet werden müssen" bin ich auch nicht recht froh. Wieso "hätte müssen"? Man kann ja auch mal einen Park Park sein lassen.


Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #21
Mit "hätte sowieso ein Neubau errichtet werden müssen" ist ausgedrückt worden, dass der Landtag von Brandenburg ohnehin einen Neubau benötigte, da er bis Herbst dieses Jahres nur provisorisch untergebracht war.

Grünflächen sind natürlich auch wichtig als Auflockerung dichter städtischer Bebauung sowie als Naherholungsraum.
Entschuldige, dass ich immer mit Berlin/ Potsdam komme, denn so schlimme Kriegs- und Nachkriegsverwüstungen hat ja Graz nicht gesehen: Durch großflächigen Abriss ganzer Häuserblöcke bis zu Vierteln in West- wie Ostberlin aus oft rein ideologischen Gründen entstanden auf historischem Grund riesige Brachflächen, die man sich selbst überließ oder teilweise alibimäßig begrünte oder darauf einen Parkplatz neben dem anderen anlegte. Teilweise wurden völlig überdimensionierte, bis zu achtspurige Straßen mit Autobahncharakter bzw. doppelter Parkspur im Mittelstreifen durch die Innenstadt(!) angelegt.

In Potsdam wurde aus der Schlossfläche nach 1959 einfach eine Wiese, darüber wurde schräg eine Durchzugsstraße gebaut, die wiederum für den Wiederaufbau des Schlosses rückgebaut bzw. nun durch einen 90-Grad-Winkel "entschleunigt" wurde. Potsdam ist nicht sehr groß, trotzdem fahren dort Combinos und Variobahnen, die überschaubare Stadt liegt unmittelbar inmitten einer traumhaften Seenlandschaft mit weitgehend naturbelassenen Ufern, ist durchzogen von Wasserflächen und besitzt übrigens sehr viele Grünflächen.  ;)

  • kroko
Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #22
Ich versteh die Argumentation, aber bin nicht überzeugt. Oder, genauer gesagt, bin bei manchen Projekten mehr überzeugt als bei anderen. Subjektiv hab ich beim Wiederaufbauen in "unschuldigen" Länder wie Polen auch ein besseres Gefühl als in "schuldigen" Ländern wie Deutschland, was wohl psychologisch erklärbar, aber letztlich unfair ist. Eine wieder andere Geschichte ist der Wiederaufbau von im Kommunismus zerstörten Kirchen in der ehemaligen Sowjetunion.

Naja. Sei's wie's sei. Ich bin jedenfalls ein deutlicher Unterstützer des Wiederaufbaus des im bzw. nach dem Krieg zerstörten Portikus der Grazer Oper. Wem das nichts sagt, Details gibt's hier: http://www.denkmal-steiermark.at/0499ad9a47126bf04/index.html

(Und ich wäre auch dafür, die Grazer C.v.H.-Straße umzubenennen, aber das ist wieder eine andere Sache.)

Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #23
Ja, von dem Portikus der Grazer Oper habe ich auch alte Bilder gesehen. Bin durchaus dafür, diesen wiederherzustellen. Aber nicht, "weil früher alles besser war", oder "weil es halt so war", sondern weil er einfach zum Gebäude passt. Übrigens entdecke ich da jede Menge steinerne Figuren auf dem Sw-Foto des Links. Dürfte mit allem drum und dran nicht so ganz billig werden. Habe gar nicht gewusst, dass die Grazer Oper der bedeutendste Theaterbau von Helmer & Fellner sein soll. Am beeindruckendsten finde ich seit Kindheitstagen vor allem das prächtige, geschwungene Rokoko-Innere mit den Großreliefs an der Decke, die Szenen aus der griechischen Mythologie zeigen.

  • kroko
Re: [PL] Bahnhof Wroclaw - ein echtes Schmuckstück
Antwort #24
Zitat
sondern weil er einfach zum Gebäude passt


Eben, das ist ein Grund der jeden Wiederaufbau-Skeptiker überzeugen sollte - wenn ein kleiner, aber ästhetisch wichtiger Teil eines Gebäudes zerstört ist und der Rest noch besteht. Offenbar war im Fall der Grazer Oper der Schaden gar nicht so erheblich, und eine Reparatur wäre ohne Weiteres möglich gewesen - aber entsprach halt nicht dem Zeitgeist. Soweit ich weiß wurde auch in völlig unbeschädigten Bereichen die Stuckatur abgeschlagen, ebenfalls einfach dem Zeitgeist entsprechend.