Wenn sich der Verkehr von selbst regeltEin Novum in der Verkehrsplanung hält Einzug in Graz: Vizebürgermeisterin Rücker will am sanierungsbedürftigen Sonnenfelsplatz das Verkehrsrisiko minimieren und ein neues Konzept etablieren - ohne Ampeln und Schilder.
So soll der Sonnenfelsplatz ab Herbst 2010 aussehen.
Ganze 34 Verkehrs- und Zusatztafeln sind am Grazer Sonnenfelsplatz angebracht. Bis zu 16.000 KFZ überqueren den Platz jeden Tag, das Fußgängeraufkommen erreicht das Dreifache und dann sind da noch die Radfahrer. Direkt vor der Uni-Mensa kann daher schon einmal Verwirrung entstehen. "Ich kann nicht sagen, wie viele Autos täglich gegen die Einbahn in die Zinzendorfgasse fahren", sagt Christoph, Kellner in der Posaune und angehender Jurist, "aber wir zählen nicht mehr mit". Die Lage ist nicht über die Maßen chaotisch, man bekommt aber den Eindruck, dass viele Verkehrsteilnehmer eher um Vorrang kämpfen müssen, anstatt sich geregelt weiter zu bewegen. Trotz allgemein gültiger Regeln, übermäßiger Beschilderung und Kreisverkehr gibt es also Handlungsbedarf. Da scheint ein Konzept aus Großbritannien eine gute Alternative zu bieten.
Eine neue Mobilitätsstruktur
"Shared Space" zielt auf die Gleichstellung aller Verkehrsteilnehmer ab: Gegenseitige Rücksichtnahme soll Ampeln, Schilder und Straßenmarkierungen ersetzen, einzig die "Rechtsregel" hat noch Gültigkeit. "Von der EU injizierte Pilotprojekte in Belgien, Holland oder Deutschland zeigen, dass Autos in solchen Zonen langsamer unterwegs sind. Das Fehlen gewohnter Verkehrszeichen erhöht die Aufmerksamkeit aller Personen. Das führt natürlich auch zu weniger Unfällen", so Thomas Fischer, Leiter des Projektes von der Grazer Stadtbaudirektion. Der Sonnenfelsplatz muss ohnehin renoviert werden und ist ein ideales Versuchsobjekt. Die Planungen wurde gemeinsam mit den Bürgern und einem achtköpfigen Projektteam aus Architekten, Verkehrsplanern, Soziologen, Bauingenieuren und Beleuchtungsplanern erarbeitet. Im Juli soll der Startschuss für die Umbauarbeiten erfolgen.
Konkret werden Gehsteigkanten entfernt, der Platz soll eine ebene Fläche werden. Autofahrer und Fußgänger sind nur durch vereinzelte Sitzgelegenheiten aus Beton getrennt. Das soll auch zum Verweilen einladen und die Gastronomie beleben. Auf die Straße gemalte "Finger", die im rechten Winkel den Hauswänden stehen und farblich mit diesen abgestimmt sind, bieten eine Orientierungshilfe. Dem Wunsch der Anrainer nach mehr Grün wird mit zwei Bäumen und der Verlängerung der Allee in der Schubertstraße Rechnung getragen. Der Wunsch nach einem Wasserbassin in der Mitte des Platzes sprengt aber den finanziellen Rahmen.
Kostenfrage
750.000 Euro soll das Projekt kosten, die gesamte Evaluierung mit eingerechnet. Wie kann es sich die Stadt leisten, für so einen Versuch eine solche Summe aufzubringen? "Man muss sich anschauen, was Verkehrsmaßnahmen generell kosten. Die Renovierung des Sonnenfelsplatzes hätte ungefähr 400.000 Euro gekostet. Das Aufstellen einer Ampel allein etwa schlägt mit 80.000 Euro zu Buche", erklärt Vizebürgermeisterin und Verkehrsreferentin Lisa Rücker. Sie ist überzeugt von der Sinnhaftigkeit des Projekts.
Ältere Anrainer zeigen sich aber besorgt über das Fehlen eines Schutzweges. Vielen fürchten in der "Shared Space" - Zone um ihre Sicherheit. Zebrastreifen seien eigentlich keine Schutzwege, meint Rücker, denn die meisten Unfälle ereignen sich auf ebendiesen. Oft sei gerade diese Illusion von Sicherheit für die Unachtsamkeit von Fußgängern verantwortlich und führe zu Unfällen. "Der 'Shared Space' brachte in den Versuchsländern durchwegs positive Ergebnisse. Das nötige Maß an Rücksichtnahme traue ich den Grazern auch zu", lächelt Rücker.
MATTHIAS REIF
Übersichtsgrafik © Stadtbaudirektion Graz
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