Hallihallo...
Am Pfingstwochenende fand in Leipzig das 19. Wave-Gotik-Treffen - eines der
größten Festivals der 'schwarzen Szene' mit über 20000 Besuchern - statt.
Für mich auch wieder einmal eine Gelegenheit den wunderbaren
Straßenbahnbetrieb der LVB zu genießen. Leipzig hat mit ca. 515000
Einwohnern zwar nicht einmal ein Drittel der Größe Wiens, das Liniennetz
ist mit knapp 150km aber deutlich dichter. Das Netz besteht hauptsächlich
aus Durchgangslinien, die die Ringstraße rund um die Innenstadt halb
umrunden.
Der Hauptveranstaltungsort des Festivals ist das Agra-Messegelände in Dölitz
im Süden der Stadt, direkt gegenüber des Straßenbahnbetriebshofes.
Allerdings findet dort nur ein Bruchteil der Konzerte, Lesungen, Vorträge,
Picknicks, ... statt; die restlichen etwa 20 Locations verteilen sich von
der Innenstadt aus über den gesamten südlichen Quadranten der Stadt. Die
allermeisten davon liegen in unmittelbarer Nähe einer Straßenbahnlinie,
sodass diese die Hauptlast des Festivalverkehrs trägt. Das Festivalticket
bzw. -bändchen gilt am gesamten Wochenende auch als Netzkarte in Leipzig.
Der Betrieb lief trotz der vielen Besucher reibungslos und unkompliziert;
die Straßenbahnlinie 11 wurde durch Einschubzüge der Linie 11E bis zum
Betriebsbahnhof Dölitz verstärkt. Außerdem verkehrte die Sonderlinie
31 zwischen Dölitz und Hauptbahnhof auf der ansonsten nicht
linienmäßig befahrenen Strecke durch die Richard-Lehmann-Straße, wodurch
auch die beiden weiteren großen Konzertorte Volkspalast und Kohlrabizirkus
direkt mit der Agra verbunden waren. Bei meinem letzten Besuch vor zwei
Jahren war diese Strecke übrigens mangels Fahrleitung noch nicht befahrbar.
Die Linien 11E und 31 verkehrten selbstverständlich rund um die Uhr,
zusätzlich zum regulären Nachtbusnetz.
Anbei nun ein paar Bilder dieses vorbildlichen Betriebs.
Gleich nach dem Eintreffen in der Stadt fällt die gute Kennzeichnung von
Linien und Haltestellen auf. Die Sonderlinie 31 war auf den
Haltestellenschildern ausgeschildert (und zwar nicht mit
irgendwelchen 'Kaszetteln' sondern in Blech!), die großen und ausgezeichnet
lesbaren LED-Displays zeigten sämtliche Einschub- und Sonderzüge korrekt
an. Außerdem wurden die Festivalbesucher in Deutscher und Englischer
Laufschrift begrüßt und darauf hingewiesen zur Agra die Linien 11 und 31 zu
benutzen. Diese Laufschrift wurde am letzten Tag sogar in eine
Verabschiedung geändert; da fühlt man sich gleich richtig willkommen!
(Bilder 1 und 2). Man beachte auch die Details auf Bild 2: Schlanke Weichen
mit (siehe Weichensignal) Spitzenverschluss; hier muss nicht mit 15km/h
drübergezuckelt werden.
Auch in den Zügen waren sämtlichen Ansagen und Displays korrekt, nur einmal
erlebte ich einen Zug mit nicht funktionierenden Haltestellenansagen; diese
wurden aber vom Fahrer deutlich verständlich (!) und abwechslungsreich (!!)
durchgeführt. Außerdem gibt es die Möglichkeit für den Fahrer vorgefertigte
Ansagen einzuspielen. Als einmal bei einem gut gefüllten Zug die Türen
(trotz selbstverständlich vorhandenem 'zentralen Schließen') nicht zu gehen
wollten überraschte die Fahrgäste folgende (von der gleichen Sprecherin wie
die Haltestellenansagen in freundlich-scherzhaftem Tonfall aufgezeichnete)
Durchsage: "Hallo... Hallo Sie... Ja, Sie! Machen sie bitte den Türbereich
frei." Das zauberte nicht nur ein Lächeln in die meisten Gesichter sondern
sorgte auch dafür dass die Fahrt wenige Sekunden später fortgesetzt werden
konnte.
Überhaupt läuft der Betrieb in Leipzig sehr entspannt und trotzdem flexibel
ab. Ein gutes Beispiel erlebte ich auf der Linie 10 in Fahrtrichtung Wahren
(einen Netzplan gibt es übrigens auf
http://de.wikipedia.org/wiki/Straßenbahn_Leipzig): In der Haltestelle
Wiedebachplatz erfolgte die (wieder klar und deutlich verständliche!)
Durchsage, dass dieser Zug wegen Verunreinigung (inkl. Begründung!)
getauscht und nicht linienmäßig Richtung Innenstadt sondern nach Dölitz
abbiegen würde (die meisten Steckenverzweigungen sind in Leipzig übrigens
in beide Richtungen befahrbar). Der Fahrer bot auch zwei Alternativen:
Entweder am Wiedbachplatz aussteigen und auf den Folgezug warten oder bis
zur nächsten Haltestelle Pfeffingerstraße mitzufahren und dort in den
Tauschzug umzusteigen. Da kaum jemand den Wagen verließ stieg der Fahrer
aus dem Führerstand und fragte ob eh jeder die Durchsage gehört hätte und
Antwortete auf die Frage eines Fahrgastes, um welche Art von verschmutzung
es sich denn handelte in breitem Sächsisch: "Ach, da hinten hat einer
reingekotzt, und das können wir ja so wirklich nicht anbieten." Vor allem
der zweite Teil war für mich als Wahlwiener die reinste Wohltat: Hier
identifiziert sich das Personal mit dem Betrieb und begreift seine Arbeit
als Dienstleistung am Fahrgast, die nicht nur irgendwie sondern nach
Möglichkeit auch in guter Qualität erbracht werden will!
Es ist fast müßig zu erwähnen, dass der aus Dölitz zugeführte Ersatzzug
bereits in der Pfeffingerstraße wartete und die Fahrt nach dem Umsteigen
mit insgesamt nicht einmal 3 Minuten Verzögerung fortgesetzt werden konnte.
Bemerkenswert war hier auch die Ruhe und Gelassenheit der Autofahrer, die
hinter den Zügen das Umsteigen der Fahrgäste abwarten mussten - in Wien
wäre das mit Sicherheit ein Hupkonzert geworden.
Zum Abschluss noch ein paar Bilder der im Festivalverkehr eingesetzten
Fahrzeuge. Die Hauptlast trugen Dreiwagenzüge aus T4Ds, deren letzter Wagen
zumeist ein Niederflur-Beiwagen NB4 war (Bilder 3 und 4). Außerdem fuhren -
dem Fahrgastandrang angemessen - auch viele der zwölfachsigen NGT12 (Bild
5), gelegentlich verirrte sich auch ein Leoliner-Pärchen nach Dölitz
(Bilder 6 und 7).
Auf Bild 7 gibt es wieder einige Kleinigkeiten zu entdecken. Da ist zum
einen die Tafel in der Frontscheibe, die darauf hinweist daß dieser Zug der
Sonderlinie 31 nicht auf dem üblichen Weg durch die Karl-Liebknecht-Straße
zum Hauptbahnhof fährt; weiters sieht man gut, dass Niederflurfahrzeuge
auch mit 30cm Fußbodenhöhe noch stadtbildverträgliche Haltestellen
erlauben. Und zuletzt ist das Haltestellenkap in der Leinestraße
selbstverständlich (wie praktisch alle überfahrbaren Kaps in Leipzig) mit
Gelb-Rot-Ampeln gesichert.
Auf den anderen Linien waren während des Festivals hauptsächlich Leoliner
und die NGT8 unterwegs. Diese Fahrzeuge haben übrigens für uns Österreicher
recht ungewöhnliche Achsfolgen: Leoliner B'(2'B'), NGT8 B'(2'2')B', also
keine Jakobs-Drehgestelle sondern schwebende Gelenke mit Drehgestellen
unter den Wagenkästen, wobei die Laufdrehgestelle jeweils mit kleineren
Rädern ausgeführt sind. Überhaupt gibt es in Leipzig ausschließlich
Fahrzeuge mit richtigen Drehgestellen. Dementsprechend ist der Fahrkomfort
in allen Wagen hervorragend, selbst bei der in Leipzig üblichen zügigen
Fahrweise und der oft nicht ganz optimalen Gleislage. Die nur
50%-Niederfluranteil des Leoliners sind in der Praxis überhaupt keine
Einschränkung, es sind viele Fahrgäste im Rollstuhl oder mit Kinderwagen
unterwegs. NGT12 und Leoliner halte ich persönlich für die gelungensten
Straßenbahnfahrzeuge in Europa, aber auch NGT8 und NB4 sind sehr angenehm.
Die alten Tatras sind natürlich nicht mehr ganz zeitgemäß, aber dank
liebevoller Pflege und Modernisierung auch weiterhin brauchbare Züge.
So, das wars aus Leipzig. Ich kann jedem Straßenbahnfan nur zu einem Besuch
raten (und für Eisenbahnfans ist der Hauptbahnhof natürlich auch jedesmal
ein Erlebnis).
Außerdem möchte ich nochmals auf die sehr umfangreiche und informative
Wikipedia-Seite
http://de.wikipedia.org/wiki/Straßenbahn_Leipzig bzw. die
dort verlinkten Unterseiten hinweisen.