Bekommt Österreich einen Breitspuranschluss?
Mit der Transsibirischen bis nach Wien
Russland will sein Breitspur-Streckennetz, das derzeit in Südpolen und im ostslowakischen Košice endet, bis nach Wien verlängern
Als Wladimir Putin im Mai 2007 auf Staatsbesuch nach Wien kam, brachte der damalige russische Präsident den Chef der russischen Bahn, Wladimir Jakunin, mit. Grund: Russland will sein Breitspur-Streckennetz, das derzeit in Südpolen und im ostslowakischen Košice endet, bis nach Wien verlängern und damit den Warentransport auf der Schiene erleichtern.
Im Oktober startete eine Arbeitsgruppe der Staatsbahnen von Österreich, Slowakei, Russland und der Ukraine, im April wurde ein Grundsatzabkommen unterzeichnet. Mindestens vier Milliarden Euro soll die 380 Kilometer lange Strecke, die parallel zur existierenden Normalspur durch die Slowakei gebaut werden muss, kosten, rund 60 Kilometer würden auf österreichischem Boden entstehen.
Für die Industriellenvereinigung (IV) ist das Projekt eine riesige Chance für den "Twin-City-Raum" und sollte rasch vorangetrieben werden. Aber der Präsident der IV Wien, Albert Hochleitner, beklagt das fehlende Interesse des Infrastrukturministeriums und die Passivität der ÖBB: "Die Russen sind wirklich interessiert. Sie werden 100 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren in den Bahnausbau investieren und wollen das neutrale Österreich als Partner. Auch bei uns sagt niemand, er ist dagegen, aber es passiert nichts. Wir rennen gegen Gummiwände."
"Politische Entscheidungen"
In den ÖBB fürchte man vor allem die Komplexität eines zusätzlichen Schienensystems, glaubt der Ex-Siemens-Österreich-Chef. Die Bahnvertreter würden in der Arbeitsgruppe nach alternativen technischen Lösungen - etwa auswechselbare Drehgestelle auf den Waggons - suchen und damit Entscheidungen hinauszögern. "Man darf das nicht auf der operativen Ebene der Bahn lassen, sondern braucht eine klare politische Entscheidung" , sagt Hochleitner. "Es muss auf die EU-Ebene gehoben werden. Wenn sich Österreich und die Slowakei verbinden, dann würde es rasch gehen." Bis Herbst, wenn Putin als Premier nach Wien kommt, sollten Weichen gestellt sein.
Hochleitner sieht nicht nur die Chance auf Logistikzentren östlich von Wien, sondern auch auf die Stärkung des Bahnverkehrs. "Wir werden Verkehr auf jeden Fall bekommen, die Frage ist auf der Straße oder auf der Schiene."
Bei den ÖBB sieht man die Sache differenzierter. Den Vorwurf, man blockiere die Breitspur, weisen hochrangige Bahnmanager aber scharf zurück. Es sei wenig sinnvoll, eine Trasse von der Staatsgrenze bis Wien festzulegen, solange die Slowakei ihre Trassenführung nicht fixiert hätte. Prinzipiell gibt es von Košice aus zwei Möglichkeiten: die südliche über Ungarn und das Burgenland (Götzendorfer Spange und Schleife Kledering) und eine nördlich der Donau über Bratislava und den sogenannten March-egger Ast. Der wird von Stadlau aus wohl elektrifiziert, mehr als Planungsarbeiten im Volumen von 30,9 Mio. Euro sind für das mindestens 94 Mio. Euro schwere Projekt im ÖBB-Rahmenplan bis 2013 allerdings nicht eingestellt. Die Götzendorfer Spange über Fischamend zum Flughafen (S7) kostet zumindest 110 Millionen Euro.
Beides taugt als Breitspuranbindung nicht, denn Normalspurgleise sind zu breit, um innerhalb der Breitspur verlegt werden zu können. Die Breitspur braucht daher eine eigene Trasse abseits aller Bahnhöfe und wohl weniger Sicherheitseinrichtungen, aber tragfähigere Gleisbette für höhere Tonnagen - und mindestens einen Güterterminal zum Verladen. Beides zusammen taxiert man in den ÖBB auf "bis zu einer Milliarde Euro" .
Als Knackpunkt nennt man die Anschubfinanzierung, die im ÖBB-Bauprogramm angesichts steigender Baukosten nicht unterzubringen sei. Sie würde - entgegen anderslautenden großspurigen Informationen - von den Russen nicht einmal vorgestreckt, geschweige denn übernommen, stellen mit dem Projekt befasste Eisenbahner klar. Klar ist auch: Selbst ein an der Donau gelegener Bahngüterterminal zieht zusätzlichen Lkw-Verkehr in den Großraum Wien. Deshalb will man in Wien nur Container für zeitkritische und hochqualitative Waren verladen, für Schrott oder Kohle sei Košice zuständig.
In einem Punkt sind sich die Eisenbahner der beteiligten Staaten einig: Sie wollen mehr Verkehr auf die "Transsib" bringen, weil diese schneller sei als Schiffe, die vor Europas überfüllten Häfen im Stau steckten.
Quelle: Eric Frey, Luise Ungerboeck, DER STANDARD, 18.7.2008
Ein Jobmotor für den Donauraum
WU-Studie: Bahnstrecke dämmt Lkw-Verkehr ein und bringt Betriebsansiedelungen
Hohe Gewinne, mehr Arbeitsplätze und immer mehr Lkw-Verkehr zum Transport von Rohstoffen und Massengütern - das sind die Folgen des Wirtschaftsbooms in Russland, der Ukraine und Zentralasien für Österreich. Aber die Konsequenzen lassen sich steuern: Eine Verlängerung der russischen Breitspur-Bahnlinie in den Twin-City-Raum würde Jobs schaffen und den Verkehr von der Straße auf die Bahn umlenken, zeigt sich der Verkehrsexperte Sebastian Kummer von der WUWien, der für die Industriellenvereinigung eine entsprechende Studie erstellt hat, überzeugt.
Wenn die russischen Frachtzüge weiterhin im slowakischen Košice enden, "dann müssen wir mit starkem Lkw-Verkehr zu diesem Umschlagplatz rechnen. Denn die slowakische Bahn ist nicht leistungsfähig genug. Und das würden wir auf unserer West- und Ostautobahn ganz stark spüren."
Anders als die Ostslowakei biete der Twin-City-Raum die Möglichkeit, die Fracht auf Donauschiffe zu verlagern oder aber mit Zügen auf der Normalspur weiterzutransportieren. Auch die beiden Flughäfen Wien und Bratislava würden helfen, die Straße zu entlasten, sagt Kummer und spricht von einem "idealen quatro-modalen Standort" für zahlreiche Logistikzentren, die entlang der Donau zwischen Wien und Bratislava entstehen könnten.
Mehr Cargo-Kapazitäten
Natürlich könnte die Breitspur auch auf der slowakischen Seite der Grenze enden oder nach Budapest geführt werden, aber dies wäre für alle Seiten weniger vorteilhaft, sagt Kummer. Die ÖBB habe viel mehr Kargo-Kapazitäten als osteuropäische Staatsbahnen, und die Verbindungen nach Westeuropa und Italien seien leistungsfähiger. Kummer: "Es gibt keine zweite Region, die so sehr Kreuzungspunkt aller Linien ist wie diese."
Außerdem gebe es in Österreich mehr Know-how in der Logistik als in den Oststaaten, was die höheren Lohnkosten mehr als wettmache.
Vor allem aber würde Österreich durch eine Nichtverlängerung der Breitspur auf einen Jobmotor in einer strukturschwachen Region verzichten. Denn Logistikzentren bringen - wie etwa die Niederlande zeigen - hochwertige Arbeitsplätze in Industrie und Dienstleistungen und bieten einen Anreiz für die Ansiedelung von Unternehmen.
"Logistikzentren sind Wachstumsmotoren," sagt auch der Präsident der IV-NÖ, Agrana-Generaldirektor Johann Marihart. "Wenn wir es nicht tun, dann passiert es halt weiter im Osten."
Schneller nach China
Eine Breitspur-Verlängerung würde auch Europas Handel mit China erleichtern, zeigt die Studie. Der Seeweg beträgt derzeit 30 Tage, eine Breitspurlinie von Wien über Sibirien nach Peking könnte dies in 15 bis 18 Tagen schaffen. Auch hier würde Ostösterreich als Ausgangspunkt der Transsibirischen von Umwegeffekten profitieren, sagt Kummer.
Quelle: ef, DER STANDARD, 18.07.2008
Der Empedokles (ital. Empedocle) ist ein Unterwasservulkan in der Straße von Sizilien. Die höchste Erhebung liegt rund 7 bis 8 Meter unter der Meeresoberfläche. Ein starker Ausbruch des Empedokles könnte einen Tsunami auslösen.