Re: Neues von Gondel und U-Bahn
Antwort #26 –
Die Vision der Murgondel ist für Siegfried Nagl zehn Jahre nach ihrer Geburtsstunde vom Tisch, die U-Bahn sein Zukunftsprojekt. Der ÖVP-Chef will auch nach bald 20 Jahren Grazer Bürgermeister bleiben und den Proporz in der Stadtregierung endlich abschaffen.
Von Bernd Hecke | 16.16 Uhr, 26. September 2020
Herr Bürgermeister, Sie haben für unser Treffen hier ein Bankplatzerl in der neu gestalteten Fußgängerzone Schmiedgasse gewählt, warum?
SIEGFRIED NAGL: Weil ich mich freue, wie begeistert Graz den mit Qualität gestalteten öffentlichen Raum annimmt.
Nach dem Lockdown ist Graz ins Freie gestürmt, Parks sind voll, nachts feiern dort die Jungen ...
Es gibt diese Sehnsucht, sich im öffentlichen Raum zu treffen, das ist ein Gegentrend zum Leben im Netz. Wir haben auch das Murufer entwickelt. In der Augartenbucht sieht man, wie die Menschen das annehmen. Hinzu kommt, dass 50 Prozent der Haushalte in Graz Singlehaushalte sind, Einsamkeit ist Thema, auch immer kleineren Wohnungen und Einwohnerzuwachs bedingen es, dass wir uns um Frei- und Grünräume in der Stadt noch stärker bemühen.
Diese Bäume und Bankerln hier sind ein Erfolg. Sie haben gesagt, der Ausbau der Fußgängerzone gehe Ihnen zu langsam. Welche konkreten Schritte folgen noch vor der Wahl in gut einem Jahr?
Wir werden die Kaiserfeldgasse angehen und umgestalten, aber erst brauche ich da das Verkehrskonzept. Vielleicht gelingt noch vor der Wahl was. Ich will den Tummelplatz neu gestalten samt dem Areal Richtung Bischofsplatz, Bürgergasse, bis zum Hadid-Haus. All das wird eine qualitätsvolle Gestaltung, wie hier: Aufenthaltsplätze für Menschen. Und wir werden das in allen Bezirken angehen. Stadtentwicklung und Planung, Grünraumsicherung, das ist die Königsdisziplin in einer Stadt, da habe ich große Leidenschaft.
Ihre schwarz-blaue Koalition kritisiert oft KPÖ-Verkehrsstadträtin Elke Kahr. Da gehe nichts weiter, es brauche mehr Mut. War es ein Fehler, dass Sie alle Planungsagenden in der Hand haben, aber das Verkehrsressort außerhalb der Koalition besetzten?
Das lag an den Koalitionsverhandlungen. Mario Eustacchio forderte das Wohnressort, das Kahr zuvor hatte, für sich und die FPÖ. Ich habe immer geschaut, dass alle Stadtregierungsmitglieder - auch außerhalb von Koalitionen - Ressorts bekommen, für die sie brennen. Wohnen war für die KPÖ nicht mehr zu haben, so ist es der Verkehr geworden ... Und ja, es ist schwer, wenn man kein Schönwetter-Ressorts hat, wo was zu verteilen ist, wie beim Wohnen, sondern man Menschen mit Rückgrat Unangenehmes erklären muss, etwa dass Parkplätze für die Verkehrswende fallen. Ich lasse aber keinen im Regen stehen, es gibt 100 Millionen für die Rad-Offensive, wir erweitern das Tram-Netz. Die Zusammenarbeit mit Kahr passt.
Soll der Verkehr also wieder mit der Stadtplanung in eine Hand? Und Sie wollen diese Königsdisziplin auch nach der Wahl führen?
Ja, das wäre sinnvoll.
KLIPP & KLAR - DAS VIDEO-NTERVIEW
00:23
03:19
In den Interviews mit Ihren Regierungskollegen haben wir den Proporz hinterfragt. Sollen Parteien, die keinen Regierungspakt eingehen, Ressorts führen? Oder braucht es klare Fronten: Eine Mehrheitskoalition regiert, alle anderen sind echte Opposition?
Mich überrascht, dass mehrere den Proporz abschaffen wollen. Ich habe so eine Reform vor Jahren im Verfassungskonvent des Bundes vorgeschlagen. Dafür gab es kein Interesse. Wir könnten wie in Wien amtsführende und nicht amtsführende Stadträte einführen. Da bräuchte nur der Landtag das Statut der Stadt ändern. Das gehe ich gerne an, wenn die anderen Parteien in Graz das wollen. Es würde das Regieren effizienter und leichter machen. Bringt eine Koalition nichts zusammen, kann der Bürger sie ja dann abwählen.
Zurück zur Gemeinderatswahl. Wir entnehmen all dem Sie treten an und wollen weitere fünf Jahre Bürgermeister sein?
Ich habe immer gesagt, wenn ich kandidiere, will ich auch voller Leidenschaft für Graz und die Grazer arbeiten. Und ich will auch dafür kämpfen, die Gesellschaft zusammenzuführen. Wir müssen wieder mehr reden und weniger streiten. Es braucht Diskurs statt Diktat. Wir brauchen eine breite Mitte, nicht die Konfrontation und Polarisierung der Ränder. Deshalb ist es für Graz ein Problem, dass die SPÖ so schlecht dasteht. Damit ist die Breite der politischen Mitte verloren gegangen.
Dann müssen wir - wie in fast jedem Interviews seit 2012 - eine Frage wieder stellen. Damals forderten Sie, dass Politiker längstens zehn Jahre in einer Funktion sein sollen. Sie sind 20 Jahre Grazer ÖVP-Chef, nächstes Jahr lösen sie wohl Alfred Stingl als längst dienenden Bürgermeister dieser Stadt ab. Wie lange macht das Nagl dann nach 18 Jahren als Bürgermeister noch?
Was soll ich sagen: Aus Leidenschaft wurde Liebe. Ich habe vier Mal bei Wahlen das Vertrauen ausgesprochen bekommen, so etwas bindet. So lange ich von den Grazern, meinem Umfeld, in der Partei getragen werde und noch die Kraft, Leidenschaft und Ideen habe ... und ich habe noch jede Menge ...
Sie haben uns 2015 erzählt, Sie gehen nicht als Politiker in Pension. Also ist das Ihre letzte Wahl ...?
Ich bin jetzt 57, aber wer sagt, dass ich mit 65 in Pension gehe (lächelt verschmitzt)?
Sie bringen also auch jetzt noch keinen Nachfolger in Stellung?
Ich bin ja umgeben von sehr guten Leuten - etwas, was mir der Joschi Krainer schon ganz früh geraten hat. Denn man kann nur gut sein, wenn man ein gutes Team hat ...
Heißt das Kurt Hohensinner wird als Thronfolger ein Prince-Charles-Schicksal erleiden?
Der Kurt gehört zu den guten Leuten, die mich umgeben, ja. Wer die vielen Agenden, die er übernommen hat, die Schulen, den Sport, das Soziale und die Integration so meistert, empfiehlt sich natürlich. Aber ich habe ja mit Günter Riegler auch einen ausgezeichneten Finanzstadtrat mit einem ganz großen Herz für die Kultur in dieser Stadt ...
Er ist jetzt 54, das wäre altersmäßig kein Signal für die Zukunft, oder?
Nein, wir müssen natürlich auch auf die Jungen schauen - und das tun wir in unserem Gemeinderatsklub auch schon.
Schon jetzt fahren täglich 120.000 Autos über die Stadtgrenze, der Ballungsraum wächst weiter. Hier braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung mit Bund und Land, sonst schaffen wir das nicht.
SIEGFRIED NAGL (ÖVP)
Wenn Sie noch auf Jahre Bürgermeister sein könnten. Welches Großprojekt ist denn das entscheidende für die Zukunft?
Die größte Herausforderung, die wir zu meistern haben, ist es, den Verkehr im Großraum zu organisieren. Schon jetzt fahren täglich 120.000 Autos über die Stadtgrenze, der Ballungsraum wächst weiter. Hier braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung mit Bund und Land, sonst schaffen wir das nicht. Es braucht auch in Linz, Salzburg, Innsbruck die Hilfe vom Bund. Mit dem vorigen Verkehrsminister waren wir schon nahe dran an einer Nahverkehrsmilliarde für die Landeshauptstädte. Wir intensivieren nun die Gespräche mit der neuen Ministerin Leonore Gewessler von den Grünen, der das ja ein Anliegen ist. Wir brauchen Mega-Park+Ride-Anlagen vor der Stadt mit guter Anbindung ...
Seit Jahren propagieren Sie die Murgondel. Nun hört man, aus der Gesellschaft in der Holding Graz, die die Zukunft der Mobilität prüft, diese sei eher unrealistisch und prüft eine U-Bahn. Wird durch Graz je eine Seilbahn gondeln?
Nein, das wird in der Welterbe-Stadt mit den dafür notwendigen Stützen im urbanen Raum wohl doch eher nicht das Modell für die Zukunft sein.
Mit Blick auf 2035, würden Sie dann im Großraum Graz wirklich auf ein U-Bahn-System setzen?
Ja, wir brauchen in Zukunft sicher eine rasche und leistungsstarke Ost-West und Nord-Süd-Verbindnung auf Schiene, die die Autos vor der Stadt hält und Pendler ans Ziel bringt. Aus den Zeiten der Mini-Metro, mit der die ÖVP unter Helmut Strobl schon einmal in den Wahlkampf gezogen ist, weiß ich, dass eine U-Bahn ab 700.000 Menschen sinnvoll ist. Im Großraum Graz lebt jetzt schon fast eine halbe Million Menschen und die Bevölkerung wächst weiter. Mit Blick auf 2035 sage ich, wer nicht wagt der nicht gewinnt: Es wird nicht ohne U-Bahn gehen.