EK-Unfälle - ALLGEMEIN

Begonnen von Ragnitztal, 14 07, 2025, 11:38

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.


Cerberus2

#1
Zitat von: Ragnitztal am  14 07, 2025, 11:38https://www.kleinezeitung.at/hp_stmk/19886871/kurz-bevor-es-kracht-machen-die-meisten-die-augen-zu
Bremsen oder nicht, das ist hier die Frage im Artikel: Wenn sich ein Auto schnell einem Bahnübergang nähert, soll der Lokführer bremsen oder nicht?

Meine gewagte Antwort: Nein. Ich vermute, dass ich jetzt vielleicht durchaus heftig mit anderen Meinungen konfrontiert werde, aber ich bringe mal meine Argumente.

Zuerst einmal der Vertrauensgrundsatz in der StVO:

Zitat1 Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme; dessen ungeachtet darf jeder Straßenbenützer vertrauen, dass andere Personen die für die Benützung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen, außer er müsste annehmen, dass es sich um Kinder, Menschen mit Sehbehinderung mit weißem Stock oder gelber Armbinde, Menschen mit offensichtlicher körperlicher Beeinträchtigung oder um Personen handelt, aus deren augenfälligem Gehaben geschlossen werden muss, dass sie unfähig sind, die Gefahren des Straßenverkehrs einzusehen oder sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten.

2 Der Lenker eines Fahrzeuges hat sich gegenüber Personen, gegenüber denen der Vertrauensgrundsatz gemäß Abs. 1 nicht gilt, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, daß eine Gefährdung dieser Personen ausgeschlossen ist.

Die Aussage, dass ich vertrauen darf, dass sich andere auch ans Gesetz halten, ist eine Nullnummer, denn darauf darf man immer vertrauen. Außer eben, wenn hier Personen ausgenommen sind, und in unserem Fall geht es um Personen, "aus deren augenfälligem Gehaben geschlossen werden muss, dass sie unfähig sind, die Gefahren des Straßenverkehrs einzusehen oder sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten."

Wenn ich auf einer bevorrangten Straße fahre, und aus einer benachrangten Straße kommt jemand zu schnell daher, muss ich bremsen und darauf reagieren. Klar.

Nur gilt für den Triebfahrzeugführer nicht die StVO.

Nun ist es aber so, dass die Rechtsprechung sich unter anderem danach orientiert, was der Gesetzgeber eigentlich wollte. Im besonderen darf ein Gesetz nicht so ausgelegt werden, dass dadurch ein anderes Gesetz überflüssig wird. Wenn der Gesetzgeber diese eine Interpretation des einen Gesetzes wollte, dann hätte er das andere Gesetz nicht geschaffen.

Für den geschaffenen 2. Teil des Vertrauensgrundsatzes muss man daher sagen, dass der Gesetzgeber explizit wollte, dass man bei Fehlverhalten eines anderen reagieren muss. Das bedeutet aber auch, wenn dieser Teil fehlen würde, müsste man nicht auf das Fehlverhalten anderer reagieren.

Und nun zur Eisenbahn: Hier gibt es keine Vorschrift, dass bei Fehlverhalten anderer zu reagieren ist, deswegen gibt es auch keine Verpflichtung zum Bremsen, solange sich einer nur auffällig verhält. Der Triebfahrzeugführer darf trotz des Fehlverhaltens vertrauen, dass das Auto rechtzeitig stehen bleiben wird.

Hätte der Gesetzgeber das gewollt, dass der Triebfahrzeugführer schon bei auffälligem Verhalten bremst, hätte er auch für die Eisenbahn ein Gesetz gemacht, denn für die Straße hält er es ja für explizit notwendig, so ein Gesetz vorzuhalten.

Wenn das Auto schon auf den Gleisen steht, greifen natürlich andere Paragrafen (Sachbeschädigung, Körperverletzung, Tötung). Aber das tut das Auto ja noch nicht.

Meine Meinung ist sicher gewagt und provokant, ich gebs ja zu.

FlipsP

Technisch gesehen hast du Recht.

Nur möchte die Sicht des Tfzf eben auch keinen Unfall oder schlimmeres haben. Daher kommt dann die Überlegung.

Bahnane

Ich habe leider kein Digitalabo der Kleinen Zeitung und kann den Originalartikel daher nicht lesen.

Als sonst stiller Mitleser muss ich die Ausführungen von Cerberus2 jedoch korrigieren:

Den moralischen Aspekt möchte ich nur so weit anschneiden, dass in PKWs auch völlig unschuldige Beifahrer sitzen können.

Rechtlich gesehen ist man hier auf dünnem Eis unterwegs. Es greift EisbBBV §118(2), der (nach Möglichkeit) unter anderem die Beobachtung der Strecke vorschreibt, um bei außergewöhnlichen Situationen rasch reagieren zu können. §128(1) verpflichtet in außergewöhnlichen Situationen zur Vermeidung von Gefährdungen.
Hat ein Tfzf die Gefahr wahrgenommen und bewusst nicht gebremst, wird das schwer vor Gericht zu argumentieren sein.

Cerberus2

Zitat von: Bahnane am  15 07, 2025, 16:21Den moralischen Aspekt möchte ich nur so weit anschneiden, dass in PKWs auch völlig unschuldige Beifahrer sitzen können.
Ich habe nicht die Todesstrafe für Autolenker gefordert, die sich komisch verhalten. Ich habe nur argumentiert, dass der Tf  darauf vertrauen darf, dass der Autofahrer sich korrekt verhalten wird und spätestens vor dem Bahnübergang stehen bleiben wird.

Zitat von: Bahnane am  15 07, 2025, 16:21Rechtlich gesehen ist man hier auf dünnem Eis unterwegs. Es greift EisbBBV §118(2), der (nach Möglichkeit) unter anderem die Beobachtung der Strecke vorschreibt, um bei außergewöhnlichen Situationen rasch reagieren zu können. §128(1) verpflichtet in außergewöhnlichen Situationen zur Vermeidung von Gefährdungen.
Hat ein Tfzf die Gefahr wahrgenommen und bewusst nicht gebremst, wird das schwer vor Gericht zu argumentieren sein.
Ich habe mir jetzt die zitierten Paragrafen angesehen und bin irgendwie (als rechtlicher Laie) zu dem Schluss gekommen, dass diese nicht auf unseren Fall (PKW nähert sich rasch einem Bahnhübergang) anwendbar sind. Die Frage ist natürlich, wie die im Gesetz zu lesenden Begriffe zu interpretieren sind.

  • §118 heißt "Signalbeachtung", und ich lese Absatz 2 so, dass man auf Schäden an der Oberleitung und im Gleisbereich zu achten hat. Dass sich das auf einen PKW-Lenker bezieht, wäre mit nicht in den Sinn gekommen. Irgendwas muss nämlich auch der Absatz 2 mit Signalbeachtung zu tun haben, das kann auch vielleicht ein offen stehender Schaltschrank sein, ebenso ein herabhängender Draht oder ein Baum übers Gegengleis.
  • Die in §128 behandelten "außergewöhnlichen Situationen" sehe ich hier auch nicht. Außergewöhnlich ist für mich, wenn ein Zug im Tunnel stehenbleibt, vielleicht, weil er etwa vor dem Tunnel eine Schafherde geschoren hat. Und hier ist Ruhe und Besonnenheit zu wahren, also nicht in Panik zu geraten und nicht etwa (Gefährdung) die Fahrgäste einfach ins Gleis springen zu lassen.

Das ist einfach meine Meinung, und ich bin durch das Lesen dieser Paragrafen wieder ein wenig schlauer geworden. Ich muss mir unbedingt mal die ganze EisBBV geben.

Und ja, dünn ist das Eis sowieso, denn wer sagt, dass ein Richter nicht einfach glaubt, dass ein Zug so wie ein Auto auf Sicht fährt und danach urteilt.

Bahnane

Zitatich lese Absatz 2 so, dass man auf Schäden an der Oberleitung und im Gleisbereich zu achten hat
Dann stünde das dort so, es ist allerdings (bewusst) breiter und unkonkreter formuliert.

ZitatIrgendwas muss nämlich auch der Absatz 2 mit Signalbeachtung zu tun haben, das kann auch vielleicht ein offen stehender Schaltschrank sein, ebenso ein herabhängender Draht oder ein Baum übers Gegengleis.
Weder offene Schaltschränke noch Bäume im Gegengleis sind Signale. Abs 2 hat insofern mit Signalen zu tun, als dass der Tfzf darauf achten muss, ob ihm Signale gegeben werden.

ZitatDie in §128 behandelten "außergewöhnlichen Situationen" sehe ich hier auch nicht.
Ein PKW, der auf einer EK steht oder sich so schnell einer EK annähert, dass ein rechtzeitiges Anhalten vor dem Lichtraum des Zuges unmöglich ist, ist eine außergewöhnliche Situation. Sonst wäre es eine gewöhnliche Situation, wie etwa ein haltzeigendes Signal. Ich spreche hier von einer Situation, in der mit einer Kollision zu rechnen ist. Ein herannahendes Auto, das noch vor der EK stehen bleiben kann, ist nicht außergewöhnlich.

Zitatdenn wer sagt, dass ein Richter nicht einfach glaubt, dass ein Zug so wie ein Auto auf Sicht fährt und danach urteilt.
Der Sachverständige wird das sagen.