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Foto & Video => Qualitätsbilder => Straßenbahn => Thema gestartet von: 5047er am 16 11, 2024, 07:10

Titel: Mit dem Nachtbus in die Hauptstadt 1 - Fahrscheinlos durch Sarajevo
Beitrag von: 5047er am 16 11, 2024, 07:10
Sarajevo stand schon lange sehr weit oben auf der Liste der Städte, die ich gerne einmal besuchen wollte. Obwohl die Stadt von der Luftlinie her ja gar nicht einmal sehr weit entfernt ist, wurde nur bisher nichts daraus, vor allem weil die Verkehrsanbindung von Österreich aus alles andere als optimal ist - und mit der Eisenbahn ist die Stadt aus dem Ausland leider schon einige Jahre lang nicht zu erreichen. Nachdem aber neue Straßenbahnen bestellt wurden, wollte ich Sarajevo jedenfalls noch dieses Jahr einen Besuch abstatten. Einerseits, um die recht rustikalen Altfahrzeuge bei der Straßenbahn noch zu erleben. Und andererseits, um mit den neuen (und meiner Meinung nach recht hübschen) Stadler Tango NF3 auch Straßenbahnen zu Gesicht zu bekommen, die nicht zur Gänze mit Vollwerbung zugeklebt sind.

Am 29. Juli 2024 fand ich mich kurz nach 20 Uhr für den täglich (?) von Wien nach Sarajevo verkehrenden Bus der Firma Centrotrans am "Busbahnhof" in Graz Webling ein. Die Fahrkarte für den Bus hatte ich lediglich einen Tag zuvor online direkt bei Centrotrans gebucht. Neben mir warteten gut 20 bis 30 weitere Reisende auf ihre Verbindung. Die werden sich wohl nicht alle in den einen Bus quetschen? Vor allem, weil der vermutlich schon recht voll aus Wien kommt.

Knapp zehn Minuten vor Planabfahrt fuhr ein Flixbus mit einem Centrotrans-Zielschild "Sarajevo" ein. Es folgten in kurzem Abstand zwei weitere Busse - beide aber im Centrotrans-Design.
Tatsächlich wollten fast alle wartenden Fahrgäste diese Verbindung nehmen. Ich nahm den ersten der beiden Centrotrans-Busse, beim Einsteigen warf einer der Begleiter nur einen kurzen Blick auf meinen Fahrschein. Ich hatte Glück und erwischte die letzte noch freie Zweier-Sitzreihe im Bus und machte es mir erst einmal gemütlich.
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An Bord dieses Busses befanden sich übrigens sogar drei Personen als Personal. Einer Fährt, einer kontrolliert die Fahrkarten und der dritte sorgt vermutlich für das ordnungsgemäße Ein- und Ausladen der größeren Gepäckstücke - davon hatte ich aber keines dabei. Natürlich wird nach planmäßigen Aufenthalten oder Pausen regelmäßig die Position getauscht bzw. Pause gemacht.

Kurz nach der Abfahrt zählte ein Begleiter die Fahrgastanzahl und kontrollierte die Fahrkarten der neu zugestiegenen Fahrgäste, so auch meine. Dazu scannte er das Online-Ticket nicht, sondern schaute es sich am Bildschirm genau an und fotografierte es anschließend mit der Kamera seines Handys.
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Schon bald wurde Maribor erreicht, auch dort stiegen noch mehrere Fahrgäste zu. Ich machte meinen Nebensitz frei und bekam auch einen Sitznachbar. Es waren nahezu alle Sitzplätze im Bus belegt - einzig zwei Sitzplätze, die von mittlerweile schlafenden Kindern belegt wären, wären rein theoretisch noch frei gewesen.

Zwischen Slowenien und Kroatien gab es keinerlei Grenzkontrollen und kurz hinter Zagreb bin ich etwas eingedöst. Nur etwas mehr als eine Stunde später war aber sowieso die Grenze zwischen Kroatien und Bosnien (bzw. der Republika Srpska) in Gradiška erreicht. Wenig überraschend lief das Grenzprozedere bei der Ausreise aus Kroatien ab. Alle aus dem Bus raus, Pass am Kontrollposten vorweisen - Bus fährt vor und dann wieder einsteigen. Einzig die beiden schlafenden Kinder durften auf Bitten der Mutter im Bus bleiben. Alle Fahrgäste, die vor mir dran waren, bekamen auch einen Stempel in den Pass. Ich freute mich bereits auf einen Stempel im Pass als erstes Souvenir, doch ich bekam keinen Stempel - Pech gehabt, vermutlich falsche Nationalität. Die Einreise nach Bosnien verläuft anders als das kroatische Prozedere. Ein Grenzpolizist ging durch den Bus und sammelte die Pässe aller Reisenden ein. Einige Minuten später stieg er mit dem Stapel an Reisepässen wieder ein, rief die Namen im Pass auf und wir bekamen alle unsere Pässe wieder.

Raus aus Gradiška fuhr unser Bus zuerst nicht den schnellsten Weg über die Autobahn nach Süden, sondern zuerst über die gefühlt endlos lange Bundesstraße. Gut 15 Kilometer hinter der eigentlichen Stadt Gradiška machte der Bus eine Pause am Parkplatz eines Motels.
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1:24 Uhr - die Fahrer bzw. Begleiter des Busses sowie ein paar Fahrgäste verschwanden im Motel, vermutlich um sich ein Heißgetränk zu holen. Nach gut 20 Minuten ging es weiter und der Bus fuhr bald auf die Autobahn auf. Ich konnte etwas schlafen, war aber zwischendurch immer wieder munter. In Doboj stieg mein Sitznachbar, der in Maribor eingestiegen war und nebenbei die Fahrkarte erst im Bus gegen Bargeld gekauft hatte, bereits wieder aus und ich hatte zumindest etwas mehr Beinfreiheit gewonnen. In Maglaj kamen der Bus in der Nähe des Bahnhofs zu stehen. Ich habe mich im Voraus etwas mit dem Fahrplan der ŽFBH vertraut gemacht und daher wusste ich, dass in Maglaj um 6:01 ein Zug nach Sarajevo fahren würde. Auszusteigen und noch über zwei Stunden warten zu müssen war für mich aber keine Option - für eine mögliche nächste Reise nehme ich mir das aber vor. Der Bus leerte sich etwas und irgendwann zwischen zwischen vier und halb fünf war Zenica erreicht. Auch dort hielt unser Bus nahe des Bahnhofs und es hätte dort  einen weiteren Zug nach Sarajevo gegeben - um 4:54 mit Ankunft in der Hauptstadt um 6:35. Durchaus verlockend, aber auch da konnte ich mich nicht aufraffen und zog daher die eigene Sitzreihe im Reisebus vor.

Hinter Zenica fuhr der Bus dann auf der Autobahn weiter und spätestens da war angesichts der Uhrzeit klar, dass unser Bus auf den letzten gut 70 Kilometer entweder einen größeren Umweg, oder eine längere Pause macht. Oder wir mit mehr als einer Stunde Verführung ankommen, vermutlich weil es Puffer im Fahrplan gibt, die wir einfach nicht gebraucht haben. Noch ein Zwischenhalt wurde am Busbahnhof von Visoko eingelegt. Dort tauschten unsere Fahrer/Begleiter noch ein paar Worte mit dem Personal eines ebenfalls kurz nach uns eingefahrenen Centrotrans-Bus aus, nachdem sie sich zur Begrüßung gegenseitig in die Arme gefallen sind. Die Morgendämmerung setzte bereits ein, unser Bus nahm noch ein paar Kilometer die Autobahn, bevor wir den Talkessel von Sarajevo erreichten und von Westen her in die um diese Uhrzeit noch "schlafende" Stadt rein fuhren. Eigentlich hätte ich gedacht, dass wir über die große Straße entlang der Straßenbahnachse in die Stadt rein fahren würden, der Bus wählte aber eine Route etwas nördlicher in Sichtweite der Eisenbahnstrecke.

Mit ziemlich genau 1 1/2 Stunden Verführung erreichten wir gegen 5:20 Uhr die Autobuska stanica Sarajevo. Nicht wirklich ausgeschlafen, aber immerhin etwas ausgeruht stieg ich aus dem Bus aus. Ehrlich gesagt hätte ich mir eine Fahrt über Nacht mit dem Bus schlimmer vorgestellt.
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Die Verfrühung war mir sogar sehr recht, ich hatte so reichlich Zeit um wirklich anzukommen und in die Stadt reinzufinden, bevor ich den ganzen Vormittag mit der Straßenbahn verbringen würde. Nachdem der Busbahnhof direkt neben dem Bahnhof liegt, schaute ich mir natürlich erst einmal den Bahnhof genauer an. Die große Bahnhofshalle wirkt schon imposant.
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Um halb sechs in der Früh war der Bahnhof total ausgestorben. Beim vorhandenen Zugangebot ist aber auch tagsüber nicht mit besonders hohem Fahrgastaufkommen zu rechnen, sodass der Bahnhof mit fünf Bahnsteigen reichlich überdimensioniert ist. Recht amüsant fand ich diese Karte über die europäischen Hochgeschwindligkeitsstrecken - sogar auf aktuellem Stand. Ob sich jemals eine bosnische Eisenbahn auf dieser Karte in Farbe gezeichnet wiederfinden würde?
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Ich habe mich vorab etwas über den Fahekartenerwerb für die Verkehrsbetriebe von Sarajevo GRAS (Gradski Saobraćaj Sarajevo), die die Straßenbahnen, O-Busse sowie einen Teil der Buslinien betriebt, befasst. Nachdem es in den Fahrzeugen nur Einzelfahrscheine geben zu scheint, war auf deren Homepage jedenfalls von einigen Vorverkaufsstellen für Zeitkarten die Rede, so auch am Bahnhof. Dort war allerdings die Straßenbahnstrecke aufgrund von Bauarbeiten, die aber zum Zeitpunkt meines Besuchs schon fast abgeschlossen waren nicht in Betrieb und daher auch von einem Fahrkartenschalter der GRAS keine Spur.

Kurz zum Straßenbahnnetz von Sarajevo:
Im wesentlichen besteht das Netz aus einer etwas über 11 Kilometer langen West-Ost Verbindung mit einer nur wenige Hundert Meter Stichstrecke zum Bahnhof. Grundsätzlich verkehren die Linien 1, 2, 3, 4, 5 und 6. Zum Zeitpunkt meines Besuchs war jedoch lediglich die Linie 3 in Betrieb und neben den Linien 1 und 4 welche normalerweise den Bahnhof bedienen auch die Linien 2, 5 und 6 eingestellt, ich vermute aufgrund von Mangel an betriebsfähigen Straßenbahnen. Hört sich ungut an, ist aber nicht sehr tragisch - die Linie 3 befährt die gesamte Strecke von Ilidža bis Baščaršija, und das 24/7 und täglich von ca. 6 bis 20 Uhr in einem 4 bis 5-Minuten Takt. Die Linien 2, 5 und 6 wären reine werktägliche Verstärkerlinien die mit recht dünnen Takt nur Teilstrecken bedienen, wobei zumindest Google Maps meinte, dass auch die Linie 2 fahren würde, was aber nicht der Fall war.

Genug zur Theorie, ich ging vom Bahnhof zu Fuß in Richtung Zmaja od Bosne - so heißt die große mehrspurige Straße, entlang welche die Straßenbahn fährt in diesem Abschnitt. Der Weg führte an der von mehreren Wachen umstellten US-Amerikanischen Botschaft vorbei, die sich in einem noch recht neu wirkenden, ziemlich protzigen Gebäude befindet. Mein erster Kontakt mir einer vorbeifahrenden Straßenbahn war ein vorbeifahrender Düwag GT8. Die Düwags haben nach Köln und Konya in Sarajevo bereits ihre dritte "Heimat" gefunden.

Ich hatte noch keine konvertiblen Mark (KM), geschweige denn eine Fahrkarte für die GRAS - das sollte möglichst schnell geändert werden. Auf der Suche nach einem Bankomaten fuhr mir an der Haltestelle Marijin Dvor direkt einer der neuen Tangos aus dem Hause Stadler vor die Nase. Im Fahrzeug waren Fahrkartenautomaten-ähnliche Geräte zu für den Fahrscheinerwerb per Karte zu erkennen. Ich nutzte die Gelegenheit und stieg direkt ein. Gleich wurde die Kreditkarte gezückt (jaja, auch ich besitze mittlerweile sowas) - auf das Lesegerät gehalten und dann kam die Ernüchterung: auf dem kleinen Bildschirm leuchtete ein  X auf rotem Hintergrund auf. Das war wohl nix und ich stieg direkt wieder aus, schließlich wollte ich nicht zum Schwarzfahrer werden und wusste gar nicht was mich dann im Falle einer Kontrolle erwarten würde.

Naja, ich machte mich also zu Fuß auf in Richtung Westen. In der Nähe des Abzweigs zum Bahnhof waren die ersten Sonnenstrahlen des Tages bereits angekommen und mit griffbereiter Kamera konnte ich einen Centrotrans Citatro Genelkbus auf der Linie 31 erwischen. Seine ehemalige Heimat kann der Bus nicht verbergen.
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In einem der zahlreichen Hochhäuser stieß ich auf eine Filiale der Ersten Bank im Erdgeschoss. Neben einem normalen Bankomaten fand sich im Foyer auch ein Geldwechsel-Automat, der anscheinend auch Fremdwährungs-Bankonoten in KM wechseln konnte. Nach wenigen Augenblicken hatte ich dann zumindest KM, sowohl in Banknoten, als auch in Münzen bekommen. Damit wird man wohl schnell zu einem Fahrschein kommen, dachte ich. Ich spazierte weiter Richtung Westen und mittlerweile rückte die Sonne immer weiter in die Straßen Sarajevos vor.

Nahe der Haltestelle Univerzitet (was übrigens fast exakt wie Universität ausgesprochen wird) erreichte die Sonne die Gleistrasse in der Fahrbahnmitte, sodass ich für das eine oder andere Straßenbahnfoto verweilte. Es zeigt sich Wagen 560, der wie alle Düwags eine Vollwerbung trägt.
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Eigentlich hätte ich ja gerne mehrere Wagentypen hier gehabt, es war aber gerade Düwag-Viertelstunde. Es zeigte sich noch 563...
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...sowie kurz dahinter 565. Länger wollte ich nicht warten.
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Die nächsten knapp zwei Kilometer waren recht ernüchternd. Die Straßenbahnstrecke verläuft wenig fotogen im Mittelstreifen - okay, das war zu erwarten. Es rauschten in kurzen Abständen die Straßenbahnen vorbei - Düwags, Tangos und Tatra K2. Keine Spur von den zweiteiligen Satra, dreiteiligen Satra und KT8 und alle gesehenen K2 waren wie auch die Düwags mit Vollwerbungen zugeklebt.

Stellvertretend hierfür K2YU 511 nahe der Haltestelle Socijalno...
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...sowie 525 an der Haltestelle Čengić vila.
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Das war jetzt nicht gerade nach meinem Geschmack, nachdem ich davon ausgegangen war, dass die vorhin genannten Typen noch unterwegs wären und es eigentlich auch noch werbefreie K2 geben müsste. Und zudem hatte ich noch immer keinen Fahrschein. Zumindest letzteres sollte geändert werden, als ich eine bereits geöffnete Trafik entdeckte. Aber ob ich ich dort eine Fahrkarte bekommen würde? Nein, haben die nicht, auch an anderen Trafiken bräuchte ich es erst gar nicht probieren.

An der Zwischenschleife Čengić vila entdeckte ich ein Gebäuden mit der Aufschrift "Dispečerski centar tramvaja". Das Fenster stand offen und ich fragte den anwesenden Dispečer (oder Straßenbahnfahrer in der Pause?), ob er englisch sprechen würde und mir vielleicht sogar eine Tageskarte verkaufen könne. Den Kartenkauf verneinte er und holte einen Kollegen, der mir zumindest den Weg zu einer Vorverkaufsstelle in der Nähe auf Englisch erklären würde, na immerhin! Der wiederum erklärte mir in bestem Englisch, dass ich nur noch eine Straßenbahnhaltestelle zu Fuß gehen müsste und von dort aus über eine Brücke und dann würde ich schon den "trolleybus circle" sehen, wo ich eine Tageskarte bekommen würde. Alternativ würde ich aber auch in der Straßenbahn immer beim Fahrer eine Einzelfahrt gegen Kleingeld bekommen.

Positiv gestimmt suchte ich also die Obus-Wendeschleife Otoka auf. Der Fahrkartenschalter war geöffnet und auf die Frage, ob die nette Dame hinterm Schalter Englisch sprechen würde kam ein lautes "NO!", gefolgt vom Herunterlassen der Rollo - das war ein deutliches Signal. Ich wartete etwas ab und verstand nach dem Anblick der Dame hinterm Schalter zumindest, wieso sich in diesem Land so viele Werbeplakate für Zahnärzte finden. Nach einer knappen Minute öffnete sich die Rollo tatsächlich wieder und die Dame, bei der ein Zahnarzt vermutlich einiges zu tun hätte, grinste mich an. Ich versuchte es erneut, diesmal mit "jedna dnevna karta" und legte ihr ausreichend KM in Münzen entgegen. Ob die Rollo erneut fallen würde? Zu meinem Glück nicht, sie fuchtelte mit den Händen herum und holte anschließend eine Bauchtasche aus einer Lade, in der sich tatsächlich Fahrkarten zu befinden schienen. Sie holte eine Papierfahrkarte heraus, füllte händisch das Datum aus und unterschrieb die Karte auf der Rückseite - und kurz darauf hielt ich tatsächlich eine Fahrkarte in meinen Händen. Das war ja einmal hart erarbeitet!

Als ich zur Schleife kam, standen dort ein noch recht neu wirkendender knallgelber Obus sowie ein älterer Bus, der gebraucht aus Genf den Weg nach Sarajevo gefunden hatte. Während der neuere Bus des weißrussischen Herstellers Herstellers Belkommunmash
nach dem Fahrkartenkauf bereits weg war, stand der Genfer noch da. Ich machte noch ein Foto von hinten und wartete rund zehn Minuten auf dessen Abfahrt, um ihn bei der Ausfahrt aus der Schleife noch einmal von vorne zu fotografieren - er stand aber noch die ganze Zeit in der Schleife und mir war nicht so recht klar, ob da in nächster Zeit mit einer Abfahrt zu rechnen war, weshalb ich zur Straßenbahnhaltestelle ging.
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Natürlich musste auch die Fahrscheinverkaufsstelle mit einem Foto gewürdigt werden.
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An der Haltestelle Otoka befindet sich neben einer Haltestellenüberdachung und einer Abfahrtsanzeige für die nächste Fahrt sogar ein Drehkreuz. Ob die Zutrittskontrolle meinen handgeschriebenen Papierfahrschein einlesen würde? Oder jemanden durchlassen, der den Fahrschein dann beim Fahrer kaufen würde? Aus naheliegenden Gründen war daher das Drehkreuz nicht in Betrieb.

Nach kurzer Wartezeit stand also meine erste Straßenbahnfahrt in Sarajevo an. Es kam einer der neuen Stadler Tango. Der Fahrkomfort ist sehr angenehm,  was aber angesichts der größtenteils recht geraden Streckenführung und dem auf einigen Streckenabschnitten erst vor kurzem erneuerten Gleiskörper wenig verwunderlich ist. Es ging vorbei an der Remise, die an der Haltestelle Alipašin Most liegt. Am Außengelände konnte ich einige K2 sowie Satra erspähen, die alle nicht den Eindruck erweckten, noch betriebsbereit zu sein. Auch ein gelb lackierter KT8 ganz ohne Werbung, dafür aber vollgesprüht mit Grafitti war dabei. Das müsste der einzige KT8 im Originallack sein, nach meinen Recherchen sollte es nur zwei weitere KT8 mit Werbung, davon einer schon lange abgestellt, geben. Ich stieg an der Haltestelle Energoinvest aus, diese Haltestelle befindet sich nicht mehr in Sarajevo, sondern bereits in Ilidža. Mit rund 66.000 Einwohnern ist Ilidža nach Sarajevo die nächstgrößte Stadt im Kanton Sarajevo und geht nahtlos ins Stadtgebiet der Hauptstadt über.

Hinter der Haltestelle Engergoinvest gabelt sich die mehrspurige Straße, die die Straßenbahnstrecke über weite Teile begleitet und sich in diesem Abschnitt Sarajevska cesta nennt, auf - somit sind hier zumindest Fotos ohne Straße auf beiden Seiten möglich.

Wenn die Düwags schon in einem Dreierpack unterwegs sind, können das natürlich auch die Tangos, die anzahlmäßig an diesem Tag stärker vertreten waren, als die Düwags. Einer davon war Wagen 002.
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Auch die Tatra K2YU waren mit insgesamt fünf Wagen im Auslauf vertreten, Wagen 525 war auch hinter einem anderen K2 unterwegs und hat offensichtlich den Stromabnehmer von einem ex. Amsterdamer LHB-Wagen geerbt.
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Kurz vor der Endstation Ilidža passiert die Straßenbahnstrecke die Landebahn des Flughafen Sarajevo (Međunarodni aerodrom Sarajevo). Unschwer zu erkennen ist die Landebahnbeleuchtung direkt an der Straßenbahnstrecke. Wenige Minuten vor dem Bild von 008 passierte auch ein landendes und entsprechend tief fliegendes Flugzeug die Strecke.
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Soweit einmal zur Straßenbahn, nachdem die typenvielfalt überschaubar war und außer den Tangos nur Vollwerbewagen unterwegs waren, kann man sich ja durchaus auch einmal der Eisenbahn widmen.

Rund zehn Minuten Fußweg ist der "Bahnhof" von Ilidža von der Straßenbahnstrecke entfernt. Da der Fahrplan überschaubar ist, kann man sich auf die wenigen Personenzüge am Tag konzentrieren.
Neben einigen wenigen Regionalzügen  fährt zweimal am Tag ein Talgo zwischen Sarajevo, Mostar und Čapljina, wovon ein Zugpaar saisonal sogar an manchen Tagen bis ins kroatische Ploče durchgebunden ist.
Aus tragischen Grund dürfte die durchgehende Strecke aber noch eine Zeit lang gesperrt sein, Anfang Oktober 2024 gab es ein verheerendes Unwetter im Bereich Jablanica, welches die Strecke abschnittsweise stark beschädigt hatte.

Im Juli lief der Verkehr aber noch planmäßig, und daher war gegen halb neun Talgo-Zeit.
Aber alleine der "Bahnhof" war definitiv ein Foto wert, wenn auch aus eher negativer Sicht.
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Ilidža (Hautbahnhof?) - Am Bild ist mit Ausnahme eines Schotterwegs, der in einer Nebenstraße endet die komplette Infrastruktur des einzigen Bahnhofs der fast 70.000 Einwohner zählenden Stadt zu sehen. Ob man das auch als offiziellen Flughafenbahnof bezeichnen kann und sich tatsächlich schon Fluggäste hierher verirrt haben? Oder schon einmal ein Rollstuhlfahrer die Rampe benutzt hat?

Mit etwas Verspätung,  zwölf Minuten nachdem der Zug eigentlich den Endbahnhof von Sarajevo erreichen hätte sollen, kam 441 907 mit dem B 720 angefahren.
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Eigentlich hätte knapp 25 Minuten hinter dem Talgo auch ein Regionalzug in Richtung Sarajevo kommen sollen, der mit dem (ja, Einzahl!) recht modernen Končar-Triebwagen fahren hätte sollen. Ob der wohl auch Verspätung hätte? Ich wollte den Zug im Verspätungsfall aber nicht mehr abwarten und verzichtete daher sowohl auf ein Foto, als auch eine Mitfahrt.

Also wieder zurück in Richtung Straßenbahnstrecke zur Haltestelle Kasindolska, die recht interessant konstruiert ist. Auf nahezu der gesamten Länge befindet sich ein Zaun, sodass das Ein- sowie Aussteigen nur bei der ersten Türe auf Höhe des Wartehäusechens möglich ist. Die Idee dahinter hatte wohl die gleiche Person, die die Drehkreuze an manchen Haltestellen installieren ließ. 
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Ein Düwag war bereits im anrollen und ich nutzte mangels anderer Möglichkeiten die Fahrertür. Im Inneren des fahrenden Museums war ein leicht modriger Geruch - der mich sofort an den Grazer Wagen 521 errinerte, zu vernehmen. Ich nahm im hintersten Wagenteil Platz.
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So eine Mitfahrt im Düwag-Gelenkwagen ist schon irgendwie eine kleine Zeitreise, teils mehr als 60 Jahre haben die Wagen schon auf dem Buckel. Ich stieg jedoch nach wenigen Minuten an der Haltestelle Avaz bereits wieder aus.

Wagen 560 durchfährt soeben die Zwischenschleife Avaz und überquerte ziemlich genau an dieser Stelle die Stadgrenze zwischen Ilidža und Sarajevo.
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Den Busverkehr hatte ich nicht wirklich im Fokus, immer wieder konnte ich aber solche Mercedes-Benz O345 sehen. Ob der Zustand des Busses noch einwandfrei ist, darf angesichts des qualmenden Auspuffs angezweifelt werden. Immerhin haben diese Busse mit Baujahr um 1997 herum schon einige Jahre auf dem Buckel. Scheinbar dürften diese Busse aber erst 2016 bis 2018 nach Sarajevo gekommen sein und waren teilweise zuvor in Istanbul unterwegs. Was da wohl vorher in Sarajevo für Kraxen unterwegs waren?
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Der Busbetrieb in Sarajevo ist sowieso eine Sache für sich - denn des gibt neben dem städtischen Betreiber GRAS (wobei ich mit nicht ganz sicher bin, ob die GRAS der Betrieber der Stadt oder des Kantons Sarajevo sind) auch noch Centrotrans, also die Firma, die auch national und international im Fernbusgeschäft tätig sind. Auch diese betreiben einige Buslinien, gegenseitig tarifliche Anerkennung oder gar ein Verkehrsverbund scheint aber undenkbar zu sein und so köchelt jeder seine eigene tarifliche Suppe.

Recht bald tauchte mit Wagen 523 ein K2YU auf, den ich an der stadtauswärtigen Haltestelle Avaz aufnehmen konnte. In diesem Bereich ist der mittlere Abschnitt der großen mehrspurigen Ausfalsstrraße ziemlich breit und begrünt. Ich persönlich finde, dass das auch die Aufenthaltsqualität enorm aufwertet.
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So nebenbei gibt es auch auf beiden Seiten der Straße breite und meist durch Sträucher oder Bäume von der Fahrbahn abgegrenzte Gehsteige sowie einen Fahrradstreifen. Auch bei mehreren Ampeln ist mir ein ungewöhnliches Konzept aufgefallen: Meist sind die Umlaufzeiten der Ampeln recht lange, für Fußgänger gibt es jedoch trotz vorhandenen grünen und roten Ampeln nur entweder "grün" oder eben "nicht grün", wobei da weder die grüne, noch die rote Ampel leuchtet. Ich würde das so interpretieren, dass man bei "nicht" grün grundsätzlich trotzdem die Straße überqueren darf, nachdem man sich vergewissert hat, dass gerade kein Fahrzeug die Straße überqueren möchte. Das hätte ich in einer Stadt, die ich eigentlich für eine Verkehrshölle gehalten hätte nicht erwartet.

Tango 013 hat die Stadtgrenze bereits überquert und befindet sich nun im Stadtteil Sarajevo-Novi Grad.
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 Ähnlich wie es bei den Duisis in Graz war, scheint es auch bei den Düwags in Sarajevo bei einzelnen Wagen geringfügige sichtbare Unterschiede zu geben. So kommt Wagen 559 mit deutlich wuchtigeren Scheinwerfern als die anderen Fahrzeuge daher.
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Ich tastete mich weiter stadteinwärts, mehr dazu aber im nächsten Teil. 
Titel: Re: Mit dem Nachtbus in die Hauptstadt 1 - Fahrscheinlos durch Sarajevo
Beitrag von: flow am 17 11, 2024, 20:46
Sehr spannend!

Den Gedanken, einen Kurztrip dorthin per Bus zu machen trage ich auch schon länger mit mir herum...
Titel: Re: Mit dem Nachtbus in die Hauptstadt 1 - Fahrscheinlos durch Sarajevo
Beitrag von: 5047er am 20 11, 2024, 05:08
Kann ich gut verstehen. Immerhin ließe sich das auch recht gut mit anderen, ebenfalls nicht ideal mit der Eisenbahn erreichbaren Orten kombinieren, direkt z.B. nach Belgrad oder Zagreb. Oder auch mit dem Talgo nach Ploče, falls es den im nächsten Jahr wieder geben sollte.