Grazer Umweltzone bröckelt langsam weg
Die Umweltzone mit Fahrverboten für Graz schrumpft auf eine Mini-Variante zusammen. Rund vier Fünftel des Stadtgebiets bleiben unberührt. Vor den Landtagswahlen 2010 will sich niemand die Finger verbrennen.
Ob es in der Feinstaubstadt Graz je eine Umwelzone geben wird, ist ungewiss
Die Aufregung war groß, als Umweltlandesrat Manfred Wegscheider (SPÖ) Anfang 2008 ankündigte, Graz zur Umweltzone machen zu wollen. Nach Vorbild deutscher Städte wie Hannover würde die Landeshauptstadt und eventuell ihre Umlandgemeinden frei von älteren Dieselautos werden. Im Jahrestakt hätten die Fahrzeuge, je nach Alter und Schadstoffklasse, aus dem Gebiet verbannt werden sollen. Starten sollte die Feinstaub-Maßnahme Ende 2008.
Würde, hätte, sollte - knapp ein Jahr später ist von der Umweltzone nichts zu sehen. Die nötige Gesetzesnovelle von Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) steht immer noch aus. Und die zwischen Stadt und Land eingerichtete Arbeitsgruppe tritt auf der Stelle. Nach Kritik von Wirtschaftskammer und Autofahrerklubs scheint man sogar im Retourgang zu fahren. Die Pläne schrumpfen immer mehr auf eine Minimal-Variante zusammen.
Noch bis zum heurigen Sommer war man in der Stadt-Land-Arbeitsgruppe davon ausgegangen, dass sich die Umweltzone auf das Grazer Sanierungsgebiet - also auf die Stadt und sieben Umlandgemeinden - erstrecken würde. Das geht aus den Sitzungsprotokollen hervor, die der Kleinen Zeitung vorliegen. Das Land hatte zuvor die TU Graz beauftragt zu prüfen, wie sich eine Umweltzone auf dieses Großgebiet auswirkt. Ergebnis: Der verkehrsbedingte Feinstaub würde um sechs bis 23 Prozent weniger werden. 41.000 im Großraum Graz registrierte Pkw wären von den Fahrverboten betroffen.
Drei Mini-Varianten
Seit dem Sommer ist alles anders. Von den Umlandgemeinden ist keine Rede mehr, stattdessen hat das Land abermals die TU beauftragt - diesmal, um drei Klein-Varianten zu prüfen. Variante 1 umfasst den Bezirk Gries sowie Teile der Nachbarbezirke Jakomini, Liebenau, Puntigam, Straßgang, Wetzelsdorf, Eggenberg und Lend. Variante 2 dehnt sich zusätzlich über ganz Jakomini aus. Variante 3 greift im Norden auch noch nach Lend hinein.
Allen drei Modellen ist gemeinsam, dass rund vier Fünftel des Stadtgebiets - der ganze Norden und Osten - unberührt bleiben. Die innere Stadt ist von den Fahrverboten so gut wie gar nicht betroffen, das Glacis liegt ebenso außerhalb wie die Plüddemanngasse. Der Grazer Grün-Gemeinderat Peter Hagenauer spricht von einer "Pseudo-Zone" und beschuldigt Wegscheider, "auf Zeit zu spielen, um über die Landtagswahlen zu kommen".
Angesichts des Urnengangs im Herbst nächsten Jahres will bei der Umweltzone keiner eine blutige Nase riskieren. Wegscheider ist bemüht zu betonen, dass Graz die Maßnahme selbst wollen müsse. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) sagt prinzipiell Ja, bevorzugt aber eine Lösung, die das Umland einbindet.
Die Landes-ÖVP hat indes die wunde Stelle der SPÖ erkannt. Verkehrslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder schleuderte den ersten Speer und ließ wissen, dass sie die Zone für Unfug halte.
Die Maßnahme selbst zerbröselt zwischen den Fronten und droht, zu einer Scheinlösung zu verkommen. So weist Werner Prutsch, Leiter des Grazer Umweltamts, darauf hin, dass bei einer kleinen Umweltzone umso mehr Autos betroffen sein müssen, um überhaupt eine messbare Wirkung zu erzielen. Überdies stellt ein Grundsatzpapier der Stadt-Land-Arbeitsgruppe 2008 fest, dass eine kleinere Zone als das Grazer Sanierungsgebiet fachlich nicht begründbar sei. Die Bewertung durch die TU Graz steht noch aus.
GÜNTER PILCH
CHRONOLOGIEMärz 2007: In Deutschland tritt eine bundesweite Regelung in Kraft, die Umweltzonen ermöglicht. Die österreichischen Umweltlandesräte, unter ihnen der Steirer Manfred Wegscheider, fordern von der Bundesregierung ein ähnliches Modell.
Jänner 2008: Die Feinstaub-Werte in Graz explodieren. Wegscheider macht sich nun in der Steiermark für Umweltzonen stark. Der Ball liege aber beim Umweltminister.
März 2008: Die Pläne werden konkreter. Die Umweltzone soll sich auf den Großraum Graz erstrecken. Eine Arbeitsgruppe wird eingesetzt, im Dezember 2008 soll die Zone kommen.
November 2008: Der Zeitplan hält nicht. Noch immer fehlt das nötige Gesetz aus Wien. Pendlervertreter und Autofahrerklubs kritisieren die Pläne Wegscheiders. Der kündigt für April 2009 ein fertiges Konzept an.
Mai 2009: Inzwischen haben 32 deutsche Städte Umweltzonen. In der Steiermark liegt noch kein Konzept vor, das Bundesgesetz lässt weiter auf sich warten. Neuer Stand: Die Zone kommt im Frühjahr 2010.
Juni 2009: Umweltminister Niki Berlakovich kündigt an, dass es mit dem Gesetz noch dauern wird. Die Umweltzone verzögert sich auf Herbst 2010. Der Gegenwind wird härter. Plötzlich soll die Zone nur noch für einzelne Stadtteile gelten.
Nasen-NummerEs gibt Dinge, die unmöglich sind. Einen Kreis zu quadrieren etwa. Oder mit der Nasenspitze den eigenen Hals zu berühren. Oder im Land taugliche Maßnahmen gegen den Feinstaub zu setzen.
Schon gut, für den dritten Punkt fehlt jeder Nachweis. Und doch muss er zutreffen. Wie anders wäre es möglich, dass das Feinstaubproblem seit Jahren bekannt ist und uns trotzdem jede Saison aufs Neue quält? Wie sonst könnte es sein, dass die Politiker, die im Laufe der Jahre gewechselt haben, beteuern, alles gegen den Staub zu tun und dennoch auf der Stelle treten?
Wird dann doch eine Maßnahme angekündigt, zerschellt sie am Abwehrkampf der Autofahrer. Wer will heutzutage schon weg vom Gas? Was soll das?
Die Drohungen wirken in der Regel schnell. Eine nächste Wahl wartet immer, und da machen sich so viele Speere im Rücken nicht gut.
Also lieber die Prioritäten ordnen und vorsichtig bleiben im Kampf gegen den Feinstaub. Sonst kommt am Ende noch einer auf die Idee und verlangt von der Politik die Nummer mit der Nase.
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GÜNTER PILCH
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