So, nun habe ich das Problem, dass ich nicht weiß, für welchen Wissensstand ich antworten soll: Ich gehe das also mal mit ein paar fundamentalen Infos an und hoffe, Torx, dass Du mir verzeihst, wenn Du manche Dinge schon weißt. Falls aber das ein oder andere unbekannt ist, so bitte ich wieder um Nachfragen.
Leider bin ich gezwungen, diesen Bogen zu spannen. Ich muss nämlich klar stellen, dass die einzelnen Werte zwar eine Aussage haben, diese aber nicht so einfach auf Gesundheitsrisiken umzulegen ist. Der Vergleich, der eigentlich dahinter steht, ist hoch komplex. Nur die Belastung zu vergleichen, ist nicht unbedingt sinnvoll.
Abgrenzung des ThemasIch möchte zusätzlich hier ganz klar sagen, dass Ozon (O
3) und NO
x ein anderes Thema sind. Ebenfalls ist die Klimafrage eine andere, weil hier CO
2 und ebenfalls NO
x, wie auch N
2O (Lachgas) entscheidende Faktoren sind (ja, NO
x und O
3 sind auch gesundheitsrelevant). In diesen Gebieten wäre es unerlässlich etwas Atmosphärenchemie/-physik ins Spiel zu bringen und auch hier bin ich gerne bereit, etwas genauere Einblicke zu geben; aber dieser Beitrag soll sich um Feinstaub drehen.
Feinstaub ist also keine Frage des Klimaschutzes (nur ganz am Rand, da geht es um Aerosole in ganz hohen Atmosphärenschichten), eher eine Frage des Umweltschutzes und konkret eine Frage des Gesundheitsschutzes.
Leider hat Deine Frage des Vergleiches mit einer Stadt in Polen zwei Haken: Ich muss kurz darauf eingehen, welche Typen Feinstaub es gibt und wo die Gefahren liegen - denn ein Vergleich ist mitunter sehr schwer zu ziehen. Desweiteren muss ich leider sagen, dass ich speziell die Luftqualität in polnischen Städten bisher nicht genau angesehen habe - ich kenne also die Details vor Ort nicht.
Die Gefährlichkeit von FeinstaubDie Gefährlichkeit von Feinstaub ist wahnsinnig schwer abzuschätzen. Das kann man vor allem an folgendem sehr plakativen Beispiel sehen:
Die Belastung mit Partikeln ist in Meernähe sehr hoch, vor allem durch Salze: Unseren Lungen und Atemwegen tut das sogar gut, Autos aber rosten schneller. Andersherum: In U-Bahnhöfen hat man mitunter hohe Belastungen durch Metallabrieb, was uns Menschen nicht so gut tut, den Zügen aber egal ist.
Man kann die Gefährlichkeit von Partikeln nur durch die Analyse der Oberflächenstruktur (=Nanostruktur) erkennen. Dann kann man durch Versuche die Gefährlichkeit für das Lungengewebe ermitteln. Das ist für sämtliche Partikel, die an einem Ort vorkommen, viel zu komplex und in gesamter Fülle schlicht nicht machbar. Also müssen diverse Erkenntnisse herhalten, die eine Abschätzung der Schädlichkeit ermöglichen.
Kleiner Exkurs zu Photochemischem SmogBei Ausgasungen von Bäumen wird die Sache übrigens ganz schwierig: Sogenanntes Formaldehyd, ein Stoff, der von Pflanzen im allgemeinen ausgegast wird, ist Feinstaub. Dieser kann für den Menschen in hohen Konzentrationen gefährlich werden - ganz ohne Industrie. Noch schlimmer ist es, wenn allerdings NO
x durch Verbrennung dazugemischt wird; dann können hohe Mengen an Ozon entstehen, die gesundheitsschädlich sind. Das ganze Thema nennt sich "Photochemischer Smog" und ist so komplex, dass viele Leute - die sich nicht damit beschäftigen - die Zusammenhänge schlicht leugnen. Es kann also sein, dass die Kombination Bäume+Autobahn für Menschen und Tiere schlimmere Belastungen hervorruft, als die ein oder andere Industrie. Ronald Reagan hatte das damals mit seinem Spruch "Trees cause more pollution than automobiles do" (1981) missbraucht oder aber man sieht, dass auch er das Thema nicht kapiert hatte.
Bekanntes Beispiel für Photochemischen Smog wäre Los Angeles; in dieser Stadt grassiert das Problem - und da wurde das Phänomen in den 70ern auch als erstes entdeckt. Leider trifft dieses Problem auch Graz; aber ich weiß nicht, wie es in Polen ist.
Das heißt: Hier in Graz ist Feinstaub + NO
x (durch Verbrennung) der Treiber für Ozon, was die Auswirkungen indirekt auch schlimm macht. Weder in Don Bosco, noch in Sankt Peter oder am Platz der Freiwilligen wird O3 in situ gemessen. Warum erzähle ich das? Weil NO
x in Graz neben Black Carbon ganz entscheidend ist und in der Vergangenheit auch dementsprechend viel diesbezüglich geforscht/unternommen wurde.
Das Thema ist also eigentlich noch komplexer.
Wie erreicht man Abschätzungen über die GefährlichkeitDas sollte mittlerweile wahrscheinlich Bekannter sein: Man hat herausgefunden, dass die Gefährlichkeit von Feinstaub in erster Näherung anhand der durchschnittlichen Größe der Partikel geschätzt werden kann. Dabei nimmt man an, der Feinstaub wäre kugelförmig und gibt den Durchmesser an: PM
x bezeichnet dann Feinstaub (Particulate Matter) kleiner als den Durchmesser x in μm (10
-6 m).
Typischerweise werden verglichen: PM
10 und - wenn man Glück hat - PM
2.5. Ersterer dringt vor allem bis in die oberen Atemwege ein, letzterer bis in die Lunge. Es gibt dann noch PM
0.1 oder Ultrafeinstaub, aber das ist hier unwichtig, weil selten gemessen. PM
10 und PM
2.5 werden dann noch ein bisschen gewichtet, je nachdem wie relevant bestimmte Durchmesser laut medizinischer Forschung wirklich für die Atemwege sind, so dass man eine möglichst gesundheitsrelevante Abschätzunge damit machen kann. Wikipedia (EN) arbeitet sich an den Relevanzen bis zu einem gewissen Grad ab, also bitte im Zweifel dort nachschlagen.
Hängen bleiben sollte: PM
10 (vor allem obere Atemwege) und PM
2.5 (auch aktiv in der Lunge) sind Anzeiger für die Schädlichkeit von Feinstaub. Im Zweifel aber müsste man ganz genau hinsehen; es ist eben nicht egal, ob gerade ein Partikel Kochsalz oder ein Partikel Asbest vorbeifliegt.
Deshalb wird in der Wissenschaft weiter unterschieden:
Organic Atmospheric Aerosol: Organische Moleküle der Umgebungsluft, meist natürlichen Ursprungs (wie das oben erwähnte Formaldehyd)
Elemental Carbon / Black Carbon: Chemisch ähnlich zu Graphit, vor allem durch Verbrennung (ja, das ist in Graz durch den sogenannten "Hausbrand" - also vor allem Heizungen - ein riesen Thema)
Organic Carbon: Organische Moleküle, die direkt emittiert werden (primär, z.B. durch Verbrennung) oder photochemisch erzeugt (sekundär)
Das Black Carbon ist genau ein Problem: Es sind meist Partikel von 20 bis 30 nm Durchmesser (können auch Verklumpen), die im Lugengewebe hoch aktiv sein können. Stichwort: Ruß. Das wäre übrigens ein Thema, dass man eher durch das Verbieten von Öl-/Holzverbrennern lösen könnte, denn durch Verkehrspolitik (
Link).
(2013,
Bericht an Gemeinderat)
Kumulative Belastung und EU Grenzwerte für GrazRisikobewertung kann man durch die Höhe der Konzentration nicht alleine machen, weil man ja noch beachten muss, wie lange die Menschen/Tiere einer entsprechenden Konzentration ausgesetzt sind. Kumulativ heißt nun: Ich summiere über das Jahr die Belastung auf. Also eine Art Dosis.
Würde man alles, was die Grazer Luft zu bieten hat, an einem Tag abbekommen, würde man wohl sofort sterben. Andererseits, wenn man ein paar Tage/Wochen/Monate hat, in denen die Luft gut ist, erholt sich die Lunge auch wieder. Also: Auch hier ist es schwierig, die Gesundheitsfrage zu beantworten. Auch wenn die Luft nur mittelschlecht ist: ist sie dies das ganze Jahr über, ist das äußerst schädlich. An anderen Orten mag es mal schlechter sein, aber vielleicht ist es an den meisten anderen Tagen deutlich besser. Auch das muss man in der Statistik beachten. Ganz kritisch: Jahreszeitenabhängigkeiten, wie auch in Graz. Denn Black Carbon kommt von Heizungen, was speziell im Winter problematisch ist. NO
x und photochemischer Smog ist etwas, das durch Sonneneinstrahlung reguliert wird: Eher im Sommer.
Um diesem Zusammenhang zu entsprechen hat die EU zwei Grenzwerte festgelegt: Einen für Einzeltage, aber als Tagesdurchschnitt, und einen für das ganze Jahr.
Der Grenzwert für PM
10 liegt bei 50 μg/m
3 Tagesmittelwert (also an einem Einzelzeitpunkt darf es gerne deutlich darüber sein). Den darf man 35 Mal im Jahr überschreiten... was Graz schafft.
Der zweite Grenzwert für PM
10 ist der Jahresmittelwert von 40 μg/m
3. Das wird seit 2011 tatsächlich geschafft
(ohne den Einfluss des Winterdiensts zumindest
).
(2019,
Report Johanneum)
(2019,
Report Johanneum)
(2018,
Maßnahmen für Graz - Umweltbundesamt)
Also alles gut? Mitnichten.
Graz überschreitet als einzige Stadt in Österreich die 35 Tagesgrenze.
Zur Frage: Vergleich mit anderen StädtenDie WHO hat 2015 eine Studie mit diversen Städten und ihrer PM
2.5- und PM
10-Belastungen veröffentlicht (nur Städte mit PM
2.5>10μg/m
3).
Ich gebe einen Ausschnitt wieder (Werte in μg/m
3, jährlicher Mittel):
Stadt | 10 | 2.5 |
Graz | 30 | 23 |
Wien | 27 | 19 |
Klagenfurt | 25 | 19 |
Sosnowiec | 60 | 43 |
Rybnik | 59 | 42 |
Krakau | 59 | 40 |
(2015,
WHO)
Die Liste polnischer Städte ist gigantisch. In Österreich gibt es - auch wegen des kleineren Landes - nur fünf Einträge, für Polen über 50. Ein Graus. Die deutsche Welle hat das mal sehr, sehr gut auf den Punkt gebracht:
"Für viele Polen gehört das Überprüfen der Smogwerte mittlerweile zum Alltag, genauso wie das Tragen von Atemschutzmasken. An einigen Tagen wird Kindern und älteren Menschen empfohlen, daheim zu bleiben - draußen tief durchatmen ist dann zu gefährlich. Es drohen Kopfschmerzen, Schwindel und Atemnot neben Langzeitauswirkungen wie Atemwegserkrankungen und Herzproblemen.
Die schlimmste Jahreszeit steht in Polen noch bevor. Im Winter nimmt der Smog drastisch zu, da viele Menschen noch traditionell mit Holz und Kohle heizen. In den Wintermonaten stinken die Kleider der Menschen nach Smog, sagt Gula. Er vergleicht die dreckige Luft, die die Menschen einatmen, mit Rauchen. Wer in Krakau lebt, atmet jedes Jahr so viele Schadstoffe ein, als ob er 3.000 Zigaretten rauchen würde, schätzen Aktivisten." (2018, DW)
Man merkt ja nicht, wie schlechte Luft langsam einem das Leben verkürzt. Siehe das Rauchen. Studie zu Asthma bronchiale und Ähnlichem in Graz
hier.
(2018, DW)
Wenigstens tut sich was, aber man sieht auf folgender Grafik, dass das auch nötig ist. Und ja, auch in Graz sind wir stark belastet - natürlich gibt es schlimmere Städte, aber uns sollte unsere eigene Gesundheit natürlich am Herzen liegen.
(2018, DW)
(2018, DW)
Sollte man sich zurücklehnen? Naja, eigentlich nicht. Die Europäische Gesundheitsorganisation sagt "Air pollution is currently the most important environmental risk to human health, and it is perceived as the second biggest environmental concern for Europeans, after climate change." (2019,
EEA)
Was heißt das? Wir haben kumulativ in Graz (schlechteste Luft in Ö.) ungefähr die Hälfte der Belastungen von Sosnowiec (schlechteste Luft in P.). Die Peaks in Graz sind ähnlich hoch (aqicn.com) - das heißt, wir hätten die gleiche Luftqualität, wären wir ständig mit Inversionswetterlage konfrontiert. Deshalb gibt es auch von beiden Städten ähnliche Bilder:
Noch was Interessantes in diesem Zusammenhang: Aktuelle Daten bzgl. der Reduktion von Feinstaub.
(2019,
EEA)
Man muss aber bitte noch eine Sache bedenken: Polen verheizt unfassbar viele fossilen Brennstoffe, sowohl in Heizungen, als auch für Strom (Kohle allen voran, auch für CO
2 relevant). In Graz wird keine Kohle in großen Anlagen verheizt, zumindest nicht für die Stadt relevant (Nordwinde). In Sosnowiec ist das Kraftwerk Katowice ein großes Problem (deshalb gibt es immer wieder Proteste). Bei uns ist es die Kessellage; das heißt nun: Wir haben eine unglückliche Lage und erreichen dadurch teilweise die gleichen Werte, wie in Sosnowiec neben einem Kohlekraftwerk - oder anders herum: Die Polen blasen so viel Zeug in die Luft, dass sie doppelt so viel Belastung haben (übers Jahr), wie wir (Sosnowiec ist im Flachland).
Bzgl. O
3 sieht es für Österreich übrigens ziemlich katastrophal aus und schlechter als in Polen; daran sieht man schon ein wenig, was die Ursachen sind (siehe Photochemischer Smog, oben) - aber das soll hier nicht weiter Thema sein.
Wie genau die Zusammensetzung der Partikel in Polen ist, kann ich - wie angekündigt - leider nicht sagen. Ich weiß nicht, wo deren Daten liegen oder ob sie welche haben. Deshalb enthalte ich mich hier. Alles in allem: Das Thema ist mega komplex und wir sollten alle tunlichst zusehen, dass wir so wenig Black Carbon wie möglich einatmen; Anstrengungen dies zu senken, sind sowohl in vielen polnischen Städten, wie auch in Graz nur zu empfehlen. Ich habe, ohne dass es offiziell wurde, des öfteren Aussagen von Medizinern gehört, die eher auf einen Grenzwert von <10 μg/m
3 kumulativen PM
10s zielen; ab dann bekommt man Schwierigkeiten, eine Gesundheitsschädigung statistisch nachzuweisen. Heißt nicht, dass es sie nicht gäbe.
Aber eben: In Städten. Auf dem Land kann PM
10 zum Beispiel wieder viel höher sein... Staub zum Beispiel, vor allem durch Landwirtschaft. Dazu gibt es natürlich auch Daten.
Appendix: Bewertungen für Maßnahmen bzgl. Grazer PM10:- Eine Grenzwerteinhaltung ist weder bei PM
10, noch bei NO2 gesichert, nur bei PM mit günstiger
Jahresmeteorologie. (2016,
Bericht an Gemeinderat)
- Die Heizungsumstellung auf Fernwärme stellt mit dem forcierten Ausbau der letzten Jahre in Graz
eine wesentliche Emissionseinsparung (insb. bei PM) dar. (2016,
Bericht an Gemeinderat)