Was bringt und was kostet der Koralmtunnel? VON MIRIAM KOCH UND JAKOB ZIRM (Die Presse) 16.12.2006
Infrastruktur. Noch nie war ein Bahn-Projekt so umstritten, wie die Verbindung zwischen Graz und Klagenfurt.
1 Was bitte ist der "umstrittene" Koralmtunnel?
Der Koralmtunnel ist das Herzstück der geplanten Koralmbahn von Graz nach Klagenfurt. Er führt unter der Koralpe durch und soll 32,8 Kilometer lang sein. Derzeit werden Erkundungstunnel gebaut. Seit zwei Jahren gibt es einen Vertrag zwischen Bund, ÖBB, Kärnten und der Steiermark, wonach bis 2016 die Strecke gebaut werden muss.
2 Warum wollen Kärnten und die Steiermark den Koralmtunnel?
"Weil es Teil einer europäischen Verkehrsachse ist", sagt der Sprecher von Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider, Stefan Petzner. Würde die Bahn auf andere Strecken (vor allem den sogenannten Korridor V über Ungarn und Slowenien) ausweichen, würde dies wirtschaftspolitische Nachteile für den südösterreichischen Raum mit sich bringen. Zudem wird durch die Koralmbahn die Bahn-Fahrtzeit von Klagenfurt nach Graz von derzeit drei auf eine Stunde verringert. Auch Wien würde dadurch für Kärntner schneller erreichbar sein und Italien für Grazer. Dazu kommt, dass im Süden Österreichs das Gefühl herrscht, bei Infrastrukturbauten immer benachteiligt zu werden.
3 Warum stehen andere Bundesländer auf der Bremse? Was spricht gegen den Tunnel?
Weil der Tunnel viel Geld kostet und Österreich nicht in Geld schwimmt. Daher müssen andere Projekte, die ÖBB und Verkehrsexperten für wichtiger erachten, verschoben werden. Laut dem Verkehrsexperten der WU Wien, Sebastian Kummer, hätte der Koralmtunnel nur Sinn, wenn auch der Semmeringtunnel gebaut werde. "Das Nadelöhr auf dieser Achse ist der Semmering", sagt Kummer. Außerdem wäre für die Steiermark die Pyhrnachse mit Anbindung an Deutschland wesentlich wichtiger.
4 Was kostet die Koralmbahn im schlimmsten Fall?
Die Kosten für den Tunnel werden mit 1,7 Mrd. Euro angegeben, die Kosten für die ganze Koralm-Strecke sollen sich auf 4,2 Mrd. Euro belaufen. Kritiker wie der Verkehrsexperte Hermann Knoflacher weisen darauf hin, dass in der Schweiz ähnliche Tunnel dreimal so viel kosten. Daher erwartet er Gesamtkosten von acht Mrd. Euro für die ganze Strecke. "Und weil die Finanzierung nicht steht, kommt eine ähnlich hohe Summe an Folgekosten dazu."
5 Kann sich der Bau eines solchen Projekts je rechnen?
Für sich allein betrachtet: Nein. Allerdings lässt sich - trotz immer besserer Prognosemöglichkeiten - nicht wirklich ausrechnen, wie stark die Strecke genutzt werden wird. Zudem rechnen Kärnten und Steiermark mit einer Stärkung des Wirtschaftsstandortes durch die bessere Anbindung. Argumentiert wird auch mit Zahlen: Während der Zeit des Baus sollen 45.000 Arbeitsplätze gesichert werden, der volkswirtschaftliche Nutzen betrage 18,7 Mrd. Euro.
6 Was genau ist "volkswirtschaftlicher Nut zen"?
Eine Bahnstrecke nützt nicht nur jenen, die sie benutzen. Auch die Bauwirtschaft, ihre Eigentümer, die Banken bis hin zu den Bäckern, bei denen sich die Arbeiter ihre Semmeln kaufen, profitieren davon, genauso wie Touristen, die wegen der besseren Verbindungen überhaupt erst kommen. Allerdings sind solch weitläufige Nutzenannahmen im Verkehrsbereich ein sehr schwammiges Konstrukt und schwer zu schätzen. "Es gibt bei jedem Projekt volkswirtschaftlichen Nutzen", sagt Kummer. Die Frage sei nicht, ob gebaut werde, sondern wo gebaut werde und ob man nicht durch den Einsatz neuer Schienenfahrzeuge und einer besseren Organisation wesentlich billiger schnellere Fahrtzeiten erreichen könnte.
7 Welche Ersatzstrecken gäbe es anstelle des Koralmtunnels?
Knoflacher und Kummer plädieren für die Strecke der alten Südbahn aus der Kaiserzeit. Diese führt von Graz über Marburg durch das Drautal nach Klagenfurt. Tunnel wären auf dieser Strecke nicht notwendig. "Auch von Salzburg nach Tirol fährt man über das deutsche Eck und benutzt keinen Tunnel", sagt Knoflacher. Was gegen die Strecke über Marburg spricht: Sie ist sehr schlecht ausgebaut und hat für die slowenische Regierung auch keine Priorität. Für Kummer wäre es überlegenswert, dass die ÖBB die Strecke den Slowenen abkaufen. Auch statt des Semmeringtunnels gebe es Ersatzstrecken im Flachland - über Ungarn.
8 Welche seriösen wirtschaftlichen Untersu chungen gibt es über den Koralmtunnel?
Der "Presse" liegen - trotz mehrfacher Nachfrage an verschiedenen Stellen - keine vor. Eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) aus dem Jahr 2002 wird unter Verschluss gehalten.
9 Wie wichtig ist die Strecke für die Österrei chischen Bundesbahnen?
Im aktuellen Vorschlag der ÖBB für den Rahmenplan 2007 bis 2012 wird die Koralmbahn sehr schlecht bewertet. Der Nutzen für die Kunden sei wesentlich geringer als bei vielen anderen Projekten.
10 Was sind die Folgen, wenn der Tunnel nicht gebaut wird?
Haider hat angekündigt, die Einhaltung des Bau-Vertrags einzuklagen. In Vorlaufstrecke und Sondierungsstollen wurden bereits rund 260 Mio. Euro investiert. "Es wäre ein Wahnsinn, wenn nicht weitergebaut würde", sagt Petzner. "Es ist günstiger, das Projekt zu stoppen", widerspricht Knoflacher. Nur Banken und Tunnelbaufirmen würden dann eben kein Geschäft machen.
11 Warum können die Schweizer viel längere Tunnel als den Koralmtunnel bauen?
Weil sie das Geld haben. In der Schweiz wurde eine flächendeckende Lkw-Maut eingeführt, mit der der Bau finanziert wird.
Quelle:
www.diepresse.de